Offener Brief an die Bürgermeisterin und an die BewohnerInnen von Lampedusa

von Claude Braun, EBF Schweiz, 15.11.2013

Liebe Giusi Nicolini,

Liebe Einwohnerinnen und Einwohner von Lampedusa! Wir sind erschüttert über die Anzahl von Migrant_innen, die immer wieder und viel zu häufig im Mittelmeer ertrinken müssen, wenn sie versuchen, nach Lampedusa, nach Europa zu gelangen. Deshalb senden wir Ihnen, die dieses Elend an vorderster Front erleben müssen, diesen Brief, um Ihnen unsere Solidarität zu bekunden.

Wir möchten Ihnen unsere aufrichtige Anteilnahme am Tod all dieser Menschen ausdrücken. Wir leiden mit Ihnen. Es sind dies unsere Brüder und Schwestern, unsere Kinder und Eltern, die jeden Tag auf der Überfahrt nach Europa verloren gehen. Wir wissen, wie schwierig diese Situation für Sie und die Einwohner_innen von Lampedusa ist und wir danken Ihnen, dass Sie täglich die Kraft dafür aufbringen.
Wir trauern mit Ihnen und versichern, dass wir die Köpfe nicht hängen lassen und uns weiter engagieren, um diese schreiende Ungerechtigkeit zu überwinden, für die wir uns alle, als Europäer_innen, verantwortlich fühlen. Wir verlangen von unserer Regierung, das Dublin-Abkommen aufzuheben und Ausschaffungen nach Italien, dessen Hilfskapazitäten auch beschränkt sind, sofort zu sistieren. Wir sind angewidert von der Heuchelei, die darin besteht, Trauertage auszurufen, um im gleichen Atemzug die Grenzüberwachungen und -kontrollen zu verstärken oder die Schuld auf Schlepper zu schieben, statt das Ausbeutungsverhältnis von Europa gegenüber Afrika anzuprangern. Eine ehrliche Anteilnahme am Schicksal schiffbrüchiger Flüchtlinge lässt sich nicht mit der gleichzeitigen Kriminalisierung ihrer Retter vereinbaren, dies ist in höchstem Maße geschmacklos. Wir lehnen jegliche Form zusätzlicher Überwachung, Repression und Kontrolle des Mittelmeerraums ab und wir wünschen uns, dass diese Menschen, die vor Elend, Gewalt, Armut und Krieg flüchten, auf sicherem Weg nach Europa gelangen können, um hier eine Chance und ihr Recht auf Asyl zu erhalten. Es liegt somit in gesamteuropäischer Verantwortung, all diesen Menschen, die in Europa Schutz oder einen Ausweg suchen, mit Würde zu begegnen. Deshalb ist es notwendig die europäische, die italienische und auch die schweizerische Migrationspolitik zu ändern.
Wir hoffen, dass Lampedusa nicht mehr das Symbol der Verzweiflung bleibt, sondern dasjenige der Hoffnung und Menschlichkeit wird. Und dass darüber ein radikales Umdenken in der europäischen Migrationspolitik stattfindet. Ein neues Europa, offen und gastfreundlich, kann in Lampedusa beginnen.
Wir schicken Ihnen, Frau Nicolini, und all den Einwohner_innen von Lampedusa, unsere aufrichtigsten Solidaritätsbekundungen und möchten Ihnen unseren tiefsten Respekt mitteilen.

Solidarité sans frontières, CH-3011 Bern, Schweiz
Europäisches BürgerInnen Forum, CH-4001 Basel, Schweiz

Bitte einsenden an:
Comune di Lampedusa et Linosa
Signora la sindac
Maria Giuseppina Nicolini
Via Grecale, 1
I - 92010 Lampedusa e Linosa (AG)