POLEN: Zurück in die Vergangenheit

von Thomas Konicz, Journalist, 16.12.2015, Veröffentlicht in Archipel 243

Mit dem Wahlsieg der populistisch-rechtskonservativen Partei PiS bei den polnischen Parlamentswahlen droht dem Land eine reaktionäre Wende.

Polens rechte Rattenfänger wittern Morgenluft. An die 10'000 Rechtsextremisten versammelten sich am polnischen Nationalfeiertag, dem 11. November, in der westpolnischen Stadt Wroclaw, um bei einem aggressiven Umzug die neue Stärke der Bewegung zu demonstrieren. Der alljährliche Umzug der polnischen Rechten in der Landeshauptstadt Warschau sei den Neonazis der Nationalen Wiedergeburt Polens (NOP), die die Demonstration in Wroclaw anmeldeten, «nicht radikal genug», meldete die Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Gegenüber dem Vorjahr wuchs die Teilnehmerzahl der rechtsextremistischen Demonstration in Wroclaw um rund 30 Prozent an. In Warschau waren rund 35'000 Rechte unterschiedlicher Couleur auf der Straße.
Der Aufschwung der extremistischen Rechten in Polen wird von dem deutlichen Wahlsieg der rechtspopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS – Prawo i Sprawiedliwosc) befeuert, die schon immer eine offene Flanke gegenüber dem Rechtsextremismus aufwies – und die bei den vergangenen Wahlen Ende Oktober sich überraschend die absolute Mehrheit sichern konnte. Mit der PiS kehren alte Bekannte an die Schalthebel der Macht zurück, da die Rechtspopulisten um Parteigründer Jaroslaw Kaczynski bereits zwischen 2005 und 2007 eine mit klerikalfaschistischen Elementen durchsetzte Koalitionsregierung anführten, die etwa dem polnischen Schulwesen mit Roman Giertych (damals Vorsitzender der Liga der Polnischen Familien) einen Bildungsminister bescherte, der die Gültigkeit der Evolutionstheorie anzweifelte.
Diese Rückkehr Polens in eine politische Vergangenheit, die von nationalistischen und autoritären Kräften dominiert war, scheint angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung des postsozialistischen Landes unverständlich. Polen hat als eines der wenigen Länder Europas eine Rezession während der Weltwirtschaftskrise 2008/09 vermeiden, wie auch ein gutes Wirtschaftswachstum und eine spürbare Reduzierung der Arbeitslosenquote erreichen können. Doch die offiziellen, oft auch im Westen kolportierten Zahlen, die aus Polen ein neoliberales «Erfolgsmodell» machen, übersehen die enorme soziale Spaltung des Landes – zumal die nach dem EU-Beitritt sinkende Arbeitslosigkeit größtenteils auf die massive Arbeitsmigration aus Polen zurückzuführen ist. Der aufstrebenden urbanen Mittelklasse Polens steht eine große, sozial abgehängte Schicht verarmter Menschen gegenüber. Die PiS vermochte es gerade, mittels umfassender sozialer Versprechen, wie Forderungen nach Erhöhung des Mindestlohns und der Senkung des Renteneintrittsalters, diese verarmten Bevölkerungsschichten anzusprechen.
Eine reaktionäre Wende
Die soziale Demagogie der polnischen Rechtspopulisten war so erfolgreich, dass sie die neoliberal deformierte polnische Sozialdemokratie, die als «Vereinigte Linke» an der für Parteienallianzen gültigen 8-Prozent-Hürde knapp scheiterte, um den Eintritt ins Parlament brachte. Somit reichten der PiS ihre knappen 37,5 Prozent, um die absolute Mehrheit im polnischen Parlament, dem Sejm, zu erringen. Neben der sozialen Demagogie war es auch die massiv geförderte Xenophobie, die zum Revival der polnischen Rechten beitrug. Es waren nicht nur polnische Nazis und Klerikalfaschisten, die auf Demonstrationen gegen die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen protestierten, auch die PiS-Führung hat im Wahlkampf die antiislamistische Hysterie massiv geschürt, indem prominente Parteimitglieder vor islamistischen Terroristen oder durch Flüchtlinge eingeschleppte Krankheiten warnten.
Die angestrebte reaktionäre Wende will die PiS innenpolitisch mit einer Rückbesinnung auf christliche und konservative Werte einleiten, wie auch durch die Umformung des parlamentarischen Systems Polens in eine autoritäre Präsidialdemokratie. Außenpolitisch will die neue Rechtsregierung selbstbewusster agieren, die nationale Souveränität gegenüber Brüssel stärker betonen und die zuvor von der neoliberalen Bürgerplattform praktizierte enge Gefolgschaft mit Berlin aufkündigen. Die PiS wird - wie schon während ihrer ersten Regierungszeit - den Kurs gegenüber Russland verschärfen und eine enge geopolitisch-militärische Allianz mit den USA suchen. Der neue polnische Verteidigungsminister Antoni Macierewicz illustriert diesen Kurswechsel perfekt, der einer Rückkehr zur früheren außenpolitischen Konfrontationspolitik der PiS gleichkommt. Macierewicz stellt zwar die Evolutionstheorie öffentlich nicht infrage; er propagiert aber wirre Verschwörungstheorien, wonach der Absturz der polnischen Präsidentenmaschine 2010 in Smolensk, bei dem neben 94 polnischen Staatsvertretern auch der damalige Präsident Lech Kaczynski zu Tode kam, eigentlich ein russischer Mordanschlag gewesen sei.