SCHWEIZ: Bauernhöfe statt Agrarfabriken!

27.11.2006, Veröffentlicht in Archipel 143

Die Landwirtschaftspolitik, wie sie in Europa und auch in der Schweiz geplant wird, steuert die kleinen Betriebe direkt in die Katastrophe.

In Brüssel wie in Bern wird über die Landwirtschaft nur noch in Form von «wirtschaftlichen» Zahlen gesprochen.

Die positive Rolle, welche die bäuerliche Wirtschaft in Europa in Bezug auf die soziale und kulturelle Identität und die Umwelt spielt, ist keine Erwähnung wert. Als einzige Lösung für die Aufrechterhaltung der Landwirtschaft in Europa wird das kalifornische «Modell» präsentiert: Die extreme Industrialisierung der Produktion und die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte. Die Schweizer Regierung will im Gesetzesvorschlag zur Agrarpolitik 2008-2011 (AP 2011), dass die durchschnittliche Grösse eines lebensfähigen Schweizer Landwirtschaftsbetriebs nun 40 Hektar anstatt, wie bisher, 20 Hektar betragen soll. Dies würde bedeuten, dass die Hälfte der Betriebe, 32‘000 Bauerhöfe, verschwinden müssten. Wo sollen die 32’000 Familien hingehen? Was wird mit ihnen passieren? Vielleicht wird es für einen Teil der Frauen und Männer neue Arbeitsplätze geben – Arbeitsplätze unter prekären Bedingungen auf immer grösseren Landwirtschaftsbetrieben, die in der Saison auf billige Arbeitskräfte angewiesen sind.

Die weltweite Liberalisierung der Wirtschaft vertreibt Millionen Menschen vom Land und zwingt sie zur Migration. Ihre einstigen Schollen, die sie vorher ernährt hatten, werden von der industriellen Landwirtschaft, oft von Agrar-Konzernen, einverleibt. Auf der Suche nach einer neuen Lebensgrundlage schafft es ein kleiner Teil der entwurzelten Menschen bis in die Industrieländer - meist auf lebensgefährlichen Wegen. Gesetzesverschärfungen, Abschreckungsmassnahmen und Beschränkungen der Reisefreiheit drängen sie in die Illegalität und machen sie zu leicht ausbeutbaren Arbeitskräften für ganze Wirtschaftsbranchen. Der Gemüseanbau unter Plastik im andalusischen El Ejido ist leider nur ein Beispiel unter vielen.

Eines Tages sollte man den Mut aufbringen, um NEIN zu sagen zu diesem ganzen Wettlauf nach einer zweifelhaften Rentabilität, und den Opfern dieses Wahnsinns in anderen Ländern die Hand reichen. Es ist überall die gleiche Politik der Ausgrenzung, welche hier die Bauernhöfe zerstört und anderswo EmigrantInnen, Flüchtlinge und landlose Bäuerinnen und Bauern hervorbringt.

Wir können in mindestens zwei Richtungen gegen diese katastrophalen Mechanismen tätig werden: Erstens sollten wir gleiche Rechte für alle fordern, und zweitens dafür kämpfen, dass die kleinen und vielseitigen Einheiten in der Landwirtschaft erhalten bleiben und somit die Nahrungsmittelproduktion in der Gesellschaft wieder den Platz einnehmen kann, den sie verdient. In der Schweiz hat die Europäische Kooperative Longo mai vor dem Sommer die Petition «Stoppt die Landflucht» gegen den Gesetzesvorschlag zur Agrarpolitik 2008-2011 (AP 2011) lanciert. Die Kleinbauerngewerkschaft der französischen Schweiz, Uniterre, und weitere Organisationen unterstützen die Aktion. Über 20‘000 Unterschriften sind schon beisammen. Die Sammelaktion wird noch bis mindestens Ende dieses Jahres weitergeführt.

Bestellen Sie weitere Petitionsbögen bei: Longo Mai, Le Montois, 2863 Undervelier oder auf

http://www. stoppt-die-landflucht.org .

Raymond Gétaz