Mitte Mai 2011 besuchte eine Delegation österreichischer GewerkschafterInnen die Region Almeria in Südspanien, um sich über die Arbeitsbedingungen in der industriellen Landwirtschaft zu informieren und Kontakte zur Gewerkschaft SOC zu knüpfen. Mit dabei waren FunktionärInnen des ÖGB und der Arbeiterkammer, BetriebsrätInnen sowie eine Journalistin des österreichischen Rundfunks.
Über die miserablen Arbeitsbedingungen für LandarbeiterInnen, die im industriellen Sektor der europäischen Gemüse- und Obstproduktion vorherrschen, wird bereits seit Jahren vielfach berichtet, sei es in mainstream-Medien oder in unabhängigen und kritischen Zeitungen, blogs und Filmen. Dokus wie «We feed the world» oder «Unser täglich Brot» haben einem relativ breiten Publikum hinreichend deutlich gemacht, dass billiges Obst und Gemüse nicht ohne die Verfügbarkeit einer Reservearmee von hyper-prekären, meist migrantischen, oft illegalisierten ArbeiterInnen zu haben ist.
Worüber bislang jedoch relativ wenig gesprochen wurde, ist die Tatsache, dass auch die arbeitsintensiven Sektoren in der biologischen Landwirtschaft, vor allem größere, exportorientierte Betriebe, oftmals nach derselben Logik funktionieren.
Die Delegationsreise war aus mehreren Gründen bedeutsam: Erstens kam von der Basis her ein Austausch von Informationen und Know-How zwischen Gewerkschafts-KollegInnen unserschiedlicher Länder in Gang - ein Umstand, der gerade angesichts der aktuellen Krisendynamik in Europa besonders wichtig ist. Zweitens stand das Thema Rassismus sowie mögliche Gegenstrategien aus gewerkschaftlicher Perspektive ganz oben auf der Agenda. Und drittens wurde konkret diskutiert, welche Möglichkeiten der Solidarität entlang der Wertschöpfungskette landwirtschaftlicher Produkte möglich sind. Im folgenden soll der Arbeitskampf im Betrieb Bio-Sol (Region Nijar in Almeria) nachgezeichnet werden, der auf der Reise der österreichischen GewerkschafterInnen immer wieder zur Sprache kam. Mittelfristig wird nun überlegt, ob mittels einer Solidaritäts-Kampagne in Österreich und anderen Ländern die Anstellung einer marokkanischen SOC-Kollegin für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Gemüse-Abpackbetrieben von Almeria ermöglicht werden kann.
Industriell-biologische Landwirtschaft in Almeria
Seit mehr als zehn Jahren kämpft die LandarbeiterInnengewerkschaft SOC, deren AktivistInnen sich überwiegend und deren Basis sich ganz aus MigrantInnen zusammensetzt, in der Provinz Almeria in Südspanien für die Rechte der Beschäftigen im landwirtschaftlichen Sektor. Almeria ist von mehr als 35.000 Hektar Plastikgewächshäusern überzogen. Ein Großteil der Gemüsewaren, die in Europa vor allem während der Wintermonate verkauft werden, stammen von dort. Aufgrund der Tatsache, dass in der letzten Dekade die Kritik an der ökologischen Zerstörung sowie der Über-Ausbeutung der über 120.000 migrantischen LandarbeiterInnen der Region nicht abgeebbt ist, musste etwas für’s Image der Region getan werden. Business as usual war aufgrund der zahlreichen öffentlichen Interventionen der SOC, sowie aufgrund des konstant hohen Interesses internationaler JournalistInnen, GewerkschafterInnen und AktivistInnen nicht mehr möglich. Hinzu kamen in den letzten Jahren eine Überproduktions-Krise und ein damit einhergehender Preisverfall, der unter anderem durch die Zulassung von Gemüseimporten aus Marokko angeheizt wurde. Kurzum: Vielfach wurde auf den Umstieg auf biologische Produktion gesetzt. In manchen Punkten brachte diese Wende durchaus Verbesserungen mit sich – neben der geringeren toxischen Belastung für die Pflanzen und das Grundwasser bleibt es den ArbeiterInnen erspart, mit zum Teil extrem gesundheitsgefährdenden Spritzmitteln hantieren zu müssen, durch deren Einsatz eine Reihe von LandarbeiterInnen in den letzten Jahren bereits schwere Verletzungen erlitten haben.
Einziger Haken: In den Regelwerken für biologische Landwirtschaft finden sich keinerlei explizite Parameter in Bezug auf ArbeitnehmerInnenrechte. Regelwerke, die diese Aspekte aufgreifen, wie beispielsweise «globalgap» (globalgap.org) unterliegen keiner öffentlichen Kontrolle und wurden von Unternehmen selbst geschaffen. Sie sind die strategische Antwort der Supermarktketten auf Streiks und Widerstand in der industriellen Landwirtschaft sowie auf Kampagnenarbeit gegen die Einkaufspraxis der Großverteiler - nicht viel mehr als ein Feigenblatt.
Vor dem Hintergrund dieser Situation ist es nicht allzu verwunderlich, dass in einem Bio-Großbetrieb in Almeria aktuell ein Arbeitskampf ausgebrochen ist, bei dem marokkanische und rumänische Arbeiterinnen um ihre Wiedereinstellung beziehungsweise um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne kämpfen.
Der Fall Bio-Sol
Das Unternehmen Bio Sol gehört zu den größten Betrieben der Region, die auf der Basis biologischer Produktion Gemüse vermarkten. Mit einer Markt-Präsenz seit 1993 gehört Bio-Sol zu den Bio-Pionieren von Almeria. Seit elf Jahren gehen die Waren auch in den Export. Tomaten, Paprika, Gurken, Zucchini, Auberginen, Wassermelonen und Zuckermelonen stehen auf dem Programm. Diese Vielfalt der Produktion erlaubt es dem Unternehmen, rund ums Jahr Kulturen anzubauen und zu ernten. Bio-Sol betreibt einen Abpack-Betrieb, in dem die eigenen Waren sowie die von 15 weiteren Betrieben verpackt und reisefertig für den europäischen Export gemacht werden, der 98 Prozent der Produktion einnimmt. Insgesamt handelt das Unternehmen mit Waren aus rund 100 Hektar Produktion, das entspricht 7 Millionen Kilo Gemüse jährlich.
Bei Bio Sol sind rund 200 ArbeiterInnen beschäftigt – davon 80 in den Abpackhallen. Die Arbeitsteilung ist klassisch: In den Gewächshäusern hauptsächlich Männer, in den Abpackhallen, an den Fließbändern großteils Frauen. Die Mehrheit der ArbeiterInnen kommt aus Marokko, ein kleinerer Teil aus Rumänien.
Im Oktober letzten Jahres drang der Widerstand der ArbeiterInnen zum ersten Mal verstärkt nach außen: Rund ein Dutzend Frauen aus den Abpackbetrieben, die meisten von ihnen marokkanische Migrantinnen, wurden ohne weitere Angaben von Gründen gekündigt. Der Hintergrund für diesen Schritt des Unternehmens war schnell klar: Arbeiterinnen, die bereits seit längerer Zeit im Betrieb arbeiteten (im Falle der entlassenen Frauen seit fünf bis zehn Jahren), wurden durch neue, auf prekärer Basis angestellte Arbeiterinnen ersetzt. Eine Abfindung bekommt nur, wer lange genug im Betrieb gearbeitet hat. Bio Sol setzt auf ein simples, aber bewährtes Prinzip: Es soll erst gar nicht so weit kommen. Eine weitere Masche: Die Arbeiterinnen bekamen offiziell Gehaltsabrechnungen von drei verschiedenen Betrieben – diese gehören aber alle zu Bio Sol. De facto stehen sie an derselben Maschine in derselben Abpackhalle und tun dieselbe Arbeit wie seit Jahren.
Doch – wie oft in ähnlichen Fällen – ist dies nur die Spitze des Eisbergs: Die Arbeiterinnen berichteten der SOC von einer Reihe von Verstößen: Nicht-Einhaltung des kollektivvertraglichen Lohns, oft Arbeitszeiten von neun Uhr morgens bis ein Uhr Nachts bei gleichzeitiger Vorenthaltung des Überstunden-Zuschlags, automatischer Abzug des Lohns für eine halbe Stunde, wenn eine Pause von mehr als fünf Minuten eingelegt wurde. Des weiteren Akkordarbeit in den Abpack-Hallen und Androhung, hinausgeschmissen zu werden, wenn eine bestimmte Quantität nicht erreicht wurde; weiters verbale Übergriffe seitens der Vorarbeiter; Heben von 20 Kilo schweren Kisten, auch für schwangere Frauen. Eine Frau beklagte sich nach diesen Arbeiten über eine besonders schwere Geburt – den Nachweis zu erbringen, dass dies mit den Arbeitsbedingungen bei Bio-Sol in Zusammenhang steht, ist allerdings schwierig.
Kritischer Journalismus und Kampagnenarbeit
Die Arbeiterinnen hatten sich bereits im Oktober 2010 an die SOC gewandt, um gemeinsam nach einer Lösung für ihre Situation zu suchen. Die Sache kam aber erst richtig in Schwung, als im Februar 2011 die Hamburger Journalistin Shelina Islam einen Artikel über die Arbeitsbedingungen bei Bio-Sol veröffentlichte. Unter dem Titel «Die gar nicht heile Bio-Welt» wurden im Schweizer «Tagesanzeiger» Statements von Arbeiterinnen veröffentlicht. Außerdem wurde die SOC-Gewerkschafterin und Arbeitsrechtlerin Laura Góngora zitiert: «Bio ist für den Konsumenten sicher gut, aber für die Arbeiter ändert sich nichts. Die Verstöße gegen das Arbeitsrecht nehmen nicht ab. Das Gemüse, für das die Leute schuften, heißt jetzt einfach Bio.»1 Auch in Deutschland und Holland wurden Artikel zum Fall Bio Sol veröffentlicht.
Nach dem Erscheinen des Artikels kündigte Coop – neben Migros die größte Supermarktkette der Schweiz – an, den Ankauf von Gemüse von Bio Sol einzustellen, sollte der Arbeitskonflikt nicht bis zum 28. April des Jahres gelöst werden. VertreterInnen von Coop, von BioSuisse, dem Schweizer Dachverband für biologische Betriebe, sowie von Rewe reisten daraufhin nach Almeria, um sowohl mit den ArbeiterInnen als auch mit der SOC in Kontakt zu treten. Neben der Wiedereinstellung der Entlassenen und der Einhaltung aller kollektivvertraglichen Regelungen forderten die ArbeiterInnen gemeinsam mit der SOC, dass die Einrichtung einer permanenten gewerkschaftlichen Vertretung im Betrieb gewährleistet sein müsse. Coop unterstützte diese Forderungen.
Diese Gemengelage scheint auf den ersten Blick höchst absurd, interessierten sich doch Supermarktketten bisher in den allerwenigsten Fällen auch nur ansatzweise für die Arbeitsbedingungen in ihren Zulieferbetrieben. Doch schien der Reibungsverlust, verursacht durch «schlechtes soziales Image», für Supermärkte punktuell groß genug zu sein, um eine derartige Haltung auszulösen. Die Reaktion von Coop ist aber alles andere als eine spontane Eingebung: Gerade im Fall von Gemüse aus Almeria beruht sie auf dem Umstand, dass eine ganze Reihe von Organisationen über mittlerweile mehr als zehn Jahren kontinuierlich mit der SOC in Kontakt stehen und die schlechten Arbeitsbedingungen sowie den Rassismus in Almeria mittels gezielter Kampagnen öffentlich machen. Immer wieder wurde auch die Einkaufspraxis der Supermärkte offen kritisiert.2
Am 6. April fand eine Protest-Kundgebung der betroffenen ArbeiterInnen und der SOC vor dem Gebäude des Arbeitgeberverbandes Asepal sowie vor dem Arbeitsgericht in Almeria statt. Gegen Bio Sol sind dort auch mehrere Anklagen wegen Dokumentenfälschung anhängig.
Punktueller Erfolg
Durch das Zusammenwirken dieser verschiedenen AkteurInnen aus dem Bereich Journalismus und Gewerkschaftsarbeit sowie kritischem Konsum und NGO-Arbeit, gelang es Anfang Mai 2011 vorerst, den Konflikt bei BioSol zugunsten der ArbeiterInnen zu entscheiden: Bio Sol gab nach, wohl letztlich aufgrund der Androhung Coops, die Verträge mit dem Betrieb zu kündigen. Sechs Arbeiterinnen wurden wieder eingestellt, weiteren sechs wurden die vollen Abfindungszahlungen gewährt, ein Betrag von insgesamt mehreren zehntausend Euro.
Der politische Rückenwind, der zurzeit in Bezug auf den Arbeitskonflikt bei Bio Sol weht, ist also mit Sicherheit auch ein Ergebnis der transnationalen gewerkschaftlichen und antirassistischen Zusammenarbeit zwischen Initiativen in Almeria – allen voran der SOC – und Initiativen in den so genannten Abnehmerländern der Gemüsewaren. Die Schweizer «Plattform für eine sozial und ökologisch nachhaltige Landwirtschaft» hatte beispielsweise in ihrer Presseaussendung vom 13. April die Konsumentinnen und Konsumenten dazu aufgefordert, den Kampf der ArbeiterInnen bei Bio Sol sowie die SOC zu unterstützen. Das Europäische BürgerInnen Forum (EBF) in der Schweiz startete eine Briefaktion besorgter Bürgerinnen und Bürger an Biosol und den Unternehmerverband der Provinz Almeria.
Wichtig ist nun im nächsten Schritt, dass es der SOC gelingt, sich fix im Betrieb zu verankern und eine Betriebsrätin aufzustellen. Dies ist trotz des gewonnenen Verfahrens nicht selbstverständlich: Kontinuierliche Gewerkschaftsarbeit in einem Betrieb wie Bio-Sol bedeutet schließlich, sich potentiell tagtäglich mit Vorarbeitern und anderen Vorgesetzten anzulegen. In den nächsten Wochen und Monaten wird es besonders wichtig sein, die Entwicklung im Betrieb aufmerksam weiterzuverfolgen und die SOC bei etwaigen weiteren Aktionen zu unterstützen.
Langfristig geht es aber selbstverständlich um viel mehr, nämlich um die kompromisslose Durchsetzung des Prinzips «gleiches Geld und gleiches Recht für gleiche Arbeit» für alle migrantischen ArbeiterInnen in Almeria sowie um eine generelle Überwindung (Agrar-) kapitalistischer Zustände, auch in der Bio-Landwirtschaft.
Weitere Informationen : www.forumcivique.org