UKRAINE: Aktiv für Flüchtlinge

von Natalia Kabatsiy,Komitee der Medizinischen Hilfe in Transkarpatien (CAMZ),Uschgorod (Ukraine), 27.01.2013, Veröffentlicht in Archipel 211

Seit dem Jahr 2009 arbeitet das Europäische BürgerInnen Forum (EBF), der Freundeskreis Cornelius Koch und das C.E.D.R.I eng mit dem «Komitee der Medizinischen Hilfe in Transkarpatien» (CAMZ) zusammen, um Flüchtlingen und Migrant_innen zu helfen, die von der Europäischen Union (EU) in die Ukraine abgeschoben werden. In der Ukraine werden sie wegen illegalen Aufenthalts für ein Jahr (oder mehr) in Gefänginis-Lager eingesperrt. Das CAMZ berichtet im folgenden Artikel über Neuigkeiten und Perspektiven seiner Arbeit.

Vom 6. Januar bis 17. Februar 2012, also sechs Wochen lang, dauerte der Hungerstreik von 58 Somalier_innen, davon 28 minderjährigen Mädchen und Jungen, im Gefängnislager Zhuravitchi in der Nähe der Stadt Luts’k. Sie protestierten gegen ihre Haftbedingungen und forderten ihr Recht, einen Asyl-antrag stellen zu dürfen. Als der Hungerstreik zu Ende war, blieben wir noch mit dem Kontaktmann, einem der somalischen Flüchtlinge, in Verbindung. Weil er in allen Kommuniqués als Sprecher aufgetaucht war, hatte er grosse Angst davor, was ihm nach der Entlassung aus dem Lager widerfahren könnte. So begleiteten wir ihn vom Lagerausgang bis nach Vinnitcia, einer Stadt in der Zentralukraine, wo es eine grosse Gemeinde von somalischen Exilant_innen gibt. In derselben Stadt arbeitet eine Menschenrechtsorganisation, die «Vinnitcia human rights group», welche den neuen Ankömmling empfing und dessen Betreuung übernahm. Der Hungerstreik hat immerhin zu einem positiven Resultat geführt: Jetzt können die Flüchtlinge einen Asylantrag im Lager stellen und nach ihrer Entlassung (meist nach einem Jahr) haben sie ein Papier in der Hand, das beweist, dass sie in ein Asylverfahren aufgenommen wurden. Dies ist ausserordentlich wichtig, weil sie nach ihrer Entlassung bis-her vor dem Nichts standen und die Behörden ihren Asylantrag meistens nicht entgegennahmen. So waren die Entlassenen wieder in einer völlig illegalen Situation und wurden oft wieder verhaftet: ein Teufelskreis.
Medien aus dem Ausland
Das französische Fernsehen (France 2) hat uns im Frühjahr 2012 besucht und eine Reportage über unsere Arbeit gedreht. Im Juni kamen Journalist_innen von «Monde diplomatique», die einen Bericht über die Grenzproblematik für die Webseite ihrer Zeitung machten. Einer der Journalist_innen ist im Oktober noch einmal gekommen, um einen grösseren Hintergrundbericht zu schreiben.

Empfang, direkte Hilfe und Reisen

Im alten Büro in einem Aussenquartier von Uschgorod, der Hauptstadt Transkarpatiens, konnten wir noch zwei Computer für die Arbeit mit den Hilfe suchenden Flüchtlingen und Migrant_innen einrichten. Im Mai und im Juni hatten wir einen grossen Ansturm in unserem kleinen Lokal. Die Lage beruhigte sich dann im Juli und August: Nur wenige blieben übrig. Der unerfreuliche Grund dafür ist folgender: Viele der Migrant_innen wurden verhaftet und in Gefängnis-Lager gesperrt, wo sie ein Jahr bleiben müssen. Das heisst, sie werden erst nächstes Jahr bei uns auftauchen. Wir mussten einen neuen Verbindungsmann zu den Flüchtlingen finden, weil uns der alte inzwischen verlassen hatte. Der neue Mitarbeiter ist ein Somalier, der in der Ukraine fünf Mal verhaftet worden war, also fünf Mal in einem Gefängnis-Lager sass, bevor er endlich einen Asylantrag stellen konnte.
Was die medizinische Hilfe anbelangt, haben wir einen Fortschritt zu verzeichnen: Die Organisation «Ärzte ohne Grenzen» aus München hat uns einen Ultraschall-Apparat für Schwangerschaftsuntersuchungen geschenkt. Während einer Zeit hatten wir viele schwangere Frauen zu betreuen – eine Situation, die jederzeit wiederkehren kann.
Wir konnten die Verwaltung des Lagers von Mukatchewo, wo vor allem Familien mit Kindern interniert sind, dazu bewegen, eine bessere Trinkwasserversorgung einzurichten. Wie vorher im Lager von Tchop gab es hier auch nur Wasser zu sporadischen Zeiten. Das Projekt konnten wir dank der Hilfe von Schweizer Unterstützer_innen finanzieren.
Im August reisten wir nach Deutschland, um zu studieren, wie dort die Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Migrant_innen funktioniert. In der Ukraine sind wir stark mit diesem Phänomen konfrontiert. Wir haben bei der EU ein Dossier eingereicht, um eine Finanzierung für die Begleitung von diesen Minderjährigen zu erreichen: leider ohne Resultat.
Für die internationale Koordination mit Flüchtlings- und Menschenrechtsinitiativen haben wir an verschiedenen Konferenzen teilgenommen: an der Transborder Conference in Istanbul, an der 14. Europäischen Konferenz zu Asylfragen in Warschau und an einem Treffen in Budapest im vergangenen Dezember, an dem wir berieten, wie das Border Monitoring weitergehen sollte, das heisst: die Beobachtung und Dokumentierung der Fälle von Abschiebungen an den Aussengrenzen der EU (Slowakei, Ungarn, Polen und Rumänien).

Ein neues Lokal

Wir haben ein neues Lokal gefunden, das angenehmer ist als das kleine Büro, das wir bisher hatten. Im bisherigen Büro kämpften wir seit drei Jahren mit den Mäusen – ohne Erfolg. Das neue Lokal befindet sich im Stadtzentrum von Uschgorod, besitzt auch zwei Zimmer wie am alten Ort, die aber viel grösser sind, dazu ein Badezimmer und eine Küche. Hier haben wir deutlich mehr Platz, um die Flüchtlinge empfangen und beraten zu können, vor allem jetzt im Winter, wenn es draussen eiskalt ist. Inzwischen konnten wir am neuen Ort einziehen – zur Zufriedenheit aller Mitarbeiter_innen.
A propos Mitarbeiter_innen: Wir konnten für das CAMZ eine junge Juristin als neues Mitglied gewinnen. Diese Frau arbeitete vorher bei der örtlichen Caritas und verfügt über eine achtjährige Erfahrung in Asyl- und Migrationsfragen. Wir sind sehr froh, dass sie zu uns gestossen ist. Unsere neue Juristin bereitet momentan mit einem Juristen in Budapest eine Klage an den Europäischen Menschengerichtshof gegen die Internierung von Somalier_innen in ukrainischen Gefängnis-Lagern vor. Nach einem früheren Urteil desselben Gerichts, dürfen Somalier_innen nicht in ihr vom Krieg geschütteltes Herkunftsland zurückgeschickt werden.

Zusammenkünfte und ein Filmfestival

Seit August 2012 sind wir daran, unser Zweites Filmfestival zum Thema Migration vorzubereiten. Im November haben wir hier in Uschgorod während zwei Tagen öffentliche Vorbereitungstreffen organisiert mit zwei Schwerpunkten:
1 - Präsentierung der generellen Situation der Migration: Am ersten Tag berichtete Zoltan Chomodyvari, ein Anwalt des Helsinki Komitees aus Budapest, über die Lage in Ungarn und in ganz Europa. Für den zweiten Tag hatten wir Maxim Butkevitch von der «Sozialen Aktion» in Kiew eingeladen, um über die Situation der Migrant_innen in der Ukraine zu erzählen. Ebenso luden wir Asylbewerber_innen und zwei anerkannte Flüchtlinge aus Sri Lanka ein, die in den Pausen den Tee aus ihrer Heimat servierten.
2 - Foto und Film: Der bekannte ukrainische Fotograf Alexandre Glyadyelov sprach über die Komponente «Foto», weil wir diese in unser kommendes Filmfestival mitintegrieren wollen. Er berichtete auch über seine Erfahrungen in Kriegs -und Krisenregionen wie in Somalia, Kenia und dem Sudan. Der Filmregisseur Yuriy Karabah zeigte den Teilnehmer_innen des Treffens, wie man einen Film machen kann.
Das Ziel dieser Vorbereitungsseminarien ist es, möglichst viele Leute anzusprechen und mit ihnen über die Problematik von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Fluchtgründen etc. ins Gespräch zu kommen. Die Teilnehmer_innen können auch in einen direkten Kontakt mit den Flüchtlingen treten. Gleichzeitig wird das Thema Migration für das Filmfestival näher behandelt und ausgeleuchtet; ausserdem werden technische Kenntnisse zum Selber- Filmen vermittelt – als Anregung für die potentiellen Amateur-Teilnehmer_innen am Filmwettbewerb während des Festivals.
Dieses Jahr war das Publikum während den zwei Tagen sehr gemischt: Student_innen, Schüler_in-nen, Journalist_innen und einfache Bürger_innen aus der Stadt.

Ein Filmwettbewerb für alle

Ende Januar 2013 startet also unser Filmfestival. Wir haben den Filmwettbewerb anfangs Oktober lanciert, obwohl die Finanzierung noch nicht sichergestellt ist. Die Stiftung, die uns letztes Jahr geholfen hatte, konnte jetzt nicht mehr mitmachen. Doch wir wollen das Festival auf alle Fälle veranstalten und suchen dafür noch finanzielle Unterstützung. Mit dem Festival wollen wir breitere Schichten der Bevölkerung für das Los der Migrant-_innen sensibilisieren. Das Festival ist offen für alle: Es nimmt die Filme von all denjenigen auf, die mit diesem Medium einen oder mehrere der folgenden Bereiche künstlerisch bearbeiten: Gleichheit der Rechte von Einheimischen und Migrant_innen, Standpunkte der Flüchtlinge und ihre Situation, Fragen der Integration, Prävention von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Im Jahr 2011 erhielten wir zehn Filme, wobei fünf von jungen Leuten hier aus Transkarpatien stammten. Bei den Vorstellungen war das «Marionetten-Theater» mit 150 bis 200 Plätzen im Zentrum der Stadt jeweils voll. Das lokale und regionale Medienecho war sehr gut: Mehrere Reportagen berichteten über das Festival und über dessen Themen.