UKRAINE: Filmtage für Menschenrechte

von Natacha Kabatsiy, CAMZ, Uschgorod, 28.02.2016, Veröffentlicht in Archipel 245

Ursprung und Verbreitung des wandernden Dokumentarfilmfestivals Docudays UA stehen in einer wechselseitigen Beziehung zum Aufbau der Zivilgesellschaft in der Ukraine.

Das Festival «Filmtage für Menschenrechte» fand zum ersten Mal im Jahr 2003 statt. Das Programm umfasste Dokumentarfilme und auch grosse Spielfilme. Die meisten der gezeigten Filme waren für die Ukraine Premieren. Von Anfang an entschieden die Organisator_innen, dass die Filme nicht nur in Kiev, sondern auch in den ukrainischen Regionen gezeigt werden sollten. Nach dem zweiten Festival in Kiev begann der Anlass unter dem Titel Travelling festival - Filmtage für Menschenrechte durch andere Städte zu wandern. Im Jahr darauf, als es zum Internationalen Dokumentarfilm-Festival in Amsterdam (IDFA) eingeladen war, wurde es Mitglied des internationalen Netzwerks Human Rights Film Network (HRFN).
2006 kam zum ersten Mal eine Jury zum Einsatz und ein Jahr später führten ukrainische Journa-list_innen einen Spezialpreis ein. Im Jahr 2008 änderte sich der Name auf Docudays UA, Internationales Festival des Dokumentarfilms für Menschenrechte. Das Festival findet jeweils während der letzten Woche des Monats März im Haus des Kinos in Kiev statt, in diesem Jahr vom 25. März bis 1. April 2016.
Docudays in Uschgorod
Wir vom Komitee der medizinischen Hilfe in Transkarpatien (CAMZ) gingen 2013 eine Partnerschaft mit den Docudays ein. In demselben Jahr wurden in diesem Rahmen zum ersten Mal Filme in Uschgorod, der Hauptstadt Transkarptiens, gezeigt. Dabei handelte es sich um einen höchst denkwürdigen Tag, denn es war der Tag, an dem die grossen Menschenversammlungen auf dem Maidan in Kiev begannen, nachdem am Tag zuvor die friedlich protestierenden Student_innen am selben Ort von der Spezialpolizei «Berkut» brutal zusammengeschlagen worden waren. Die Filme und die Aktionen rund um das Festival standen unter dem Motto «Es gibt eine Wahl» und sie konzentrierten sich auf folgende Fragen: die Verteidigung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit und Zugang zu amtlichen Informationen. Im Jahr danach war die so genannte «Ideoruption» das Thema. Dabei ging es um die Korruption, die sich inzwischen als Ideologie in der ukrainischen Mentalität festgesetzt hat. Die Globalität der Korruption in der Ukraine und auf der Welt sollte aufgezeigt werden und wie die einfachen Menschen sich gegen diese wehren können, dank gegenseitiger Solidarität. Nach den Docudays 2013 führten wir im Januar 2014 ein lokales Filmfestival zur Frage der Migration in Uschgorod durch, wo viele Flüchtlinge an der östlichen Aussengrenze der EU stranden. Der bekannte Schweizer Dokumentarfilmer Fernand Melgar beteiligte sich am Festival, leitete einen Workshop und war Mitglied der Delegation des EBF, die ein Gefängnislager für Flüchtlinge in der Umgebung besuchte.
Zivilgesellschaftliche Zusammenhänge
Im Jahr 2015 scharte sich das Festival der Docudays um den Begriff «Propaganda» zusammen, weil alle Augen auf den Krieg im Donbass in der Ostukraine gerichtet waren. Dieser Krieg wird auch als hybrider (zwitterhafter) Krieg bezeichnet, weil er schon vor den Schiessereien begonnen wurde, vor allem durch die Waffen der Medien und der Propaganda. Neben den Filmvorführungen in Uschgorod im Oktober 2015 organisierten wir gleichzeitig Diskussionen mit Menschen, die in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen aktiv sind, um die Problemstellungen in den Filmen zu analysieren und Lösungen auf lokaler und staatlicher Ebene zu finden. Zu diesem Anlass luden wir auch die unabhängige Journalistin und Fotografin Victoria Ivleva aus Russland ein, welche einen Monat zuvor an unserem Treffen zwischen ukrainischen und russischen Journalist_innen in Budapest präsent war. Sie stellte ihr Tagebuch von ihrer Reise durch die Ukraine vor und sprach über ihre Erfahrungen als unabhängige Journalistin in Russland. Sie bereiste die Ukraine während der Maidan-Revolution und während des Krieges und sprach die Menschen direkt an – zu dieser Zeit eine aussergewöhnliche Demarche für jemanden, der aus Russland kommt, denn die Propaganda hatte bereits die Menschen in den beiden Ländern gegeneinander aufgebracht. Für die ukrainischen Leser_innen ist ihr Buch eine Entdeckung, weil sich die Gedanken und Gefühle der Journalistin mit den ihren treffen. Victoria ist eine Frau, die nicht an Stereotypen glaubt, welche die Menschen entzweien, sondern die vielmehr von der Ebenbürtigkeit von allem Existierenden überzeugt ist. Gegen die Propaganda führt sie ihren persönlichen Standpunkt ins Feld, den sie bei ihren Treffen mit den konkreten Menschen vom Donbass über Kiev bis nach L‘viv (Lemberg) gewonnen hat.
Aktiv werden
Mit der regelmässigen Veranstaltung des Festivals möchten wir den aktiven Aufbau einer Zivilgesellschaft in unserer Region unterstützen. Der kritische Geist soll gefördert werden, um Propaganda zu entlarven und die aktuellen Ereignisse objektiv einschätzen zu können. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass es bisher in Transkarpatien praktisch keine Kultur gab, um Dokumentarfilme auf der Grossleinwand anzuschauen. Umso mehr waren wir positiv überrascht, als es bei den Vorführungen jeweils eine breite Beteiligung, vor allem junger Menschen, gab. Das zeigt, dass sich das Interesse der Zuschauer_innen nicht auf die Konsumierung von Produkten der Massenkultur beschränkt, sondern dass künstlerische Werke gefragt sind, die zum Nachdenken und Nachfragen einladen. Auch die aktive Beteiligung des Publikums an den Debatten rund ums Festival bestätigt dies. Die Popularität des Festivals ist sicherlich auch eine Folge der Veränderungen, die generell in der Ukraine stattfinden. Wir denken jedenfalls, dass das Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren eine gute Basis für die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Transkarpatien bietet – in einer Region, die sich vorwiegend apolitisch und inaktiv sowohl in Bezug auf zivilgesellschaftliche als auch auf staatliche Belange verhält. Heute gibt es einen Kern von aktiven Menschen, die sich in Solidarität üben, sich einmischen und eine Gesellschaft in all ihrer Vielfalt von unten aufbauen.