Ukraine-Russland: Ein Vogel im Parlament

von Alexander Sabow, Mosskau, 14.06.2002, Veröffentlicht in Archipel 95

Der letzte Krimkrieg brach Ende Februar aus und dauert an, obwohl die Wahlen vom 31. März schon lange vorbei sind. Für einen Russen spielt sich das immer ein wenig auf die gleiche Art und Weise ab. Man wacht frühmorgens in Moskau (oder anderswo in Russland) auf, sitzt beim Frühstück, schaltet das Radio ein und: bumm! Auf der Krim ist der Krieg ausgebrochen. Schon wieder? Auch wenn diese Halbinsel im Schwarzen Meer seit 1991 (oder eher seit 1954) nicht mehr zur Russischen Föderation gehört, haben meine Landsleute ihr Herz für immer an sie verloren. Zuerst einmal ist es eine historische Liebe: „Während drei Jahrhunderten floss unendlich viel russisches Blut auf diese Erde“. Erwidert man, „dass ebenso viel oder gar mehr ukrainisches Blut floss“, könnte es einem passieren, dass diesmal die eigene Nase blutet! Aber in erster Linie war die Krim von jeher ein bevorzugter Urlaubsort für alle ehemaligen Sowjetbürger. Jeden Frühling stellten sich dieselben Fragen: Fahren wir diesen Sommer oder fahren wir nicht? Braucht man noch immer Einreisevisa, selbst für Babys? Wie steht der Rubel im Vergleich zur ukrainischen Griwna?
Hier ist man „zu Hause“: 85 Prozent der Bevölkerung spricht russisch. Nur an einem einzigen Tag, dem des Referendums, „vergaßen“ die Krimbewohner ihre Wurzeln und stimmten massiv für die „ukrainische Souveränität“. Seitdem hören sie nicht auf, diesen Schritt zu bereuen. Die ökonomische Situation ist hier – anders als vor zehn Jahren erhofft – schlimmer als in Russland. Die gesamte Lokalpolitik dreht sich um die Frage, wie man zwischen der Ukraine und Russland leben kann.
Die Schlüsselfigur der politischen Lokalszene heißt Leonid Gratsch (auf deutsch Krähe). „Ich bin ein Vogel, der niemals sein Lied ändert. Seit meiner Jugend Kommunist, werde ich es bis ans Lebensende bleiben. Aus der Zentralukraine stammend, habe ich mehr als die Hälfte meines Lebens hier auf der Krim verbracht und bin so zur binationalen Persönlichkeit gewachsen.“ In der Epoche 2 der kommunistischen Hierarchie auf der Krim, einer ganz normalen Provinz der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetischen Republik, warb Leonid Gratsch für die Gründung einer autonomen Krimrepublik. Warum nicht! Unter den 15 Unionsrepubliken (sowjetisch sozialistisch usw.), aus denen die Sowjetunion bestand, gab es nur eine einzige Föderation: die RSFSR (Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik), bestehend aus etwa 20 „Republiken“, „Oblasten“ und gar „autonomen Gebieten“. Die Tage der Sowjetunion waren gezählt, und Gratschs Vorhaben kam zu spät. Nach dem Referendum von 1991 verschwand Leonid Gratsch von der politischen Bildfläche, um sieben Jahre später mit voller Kraft wieder aufzutauchen: als Chef der Kommunistischen Partei auf der Krim. Er wurde mit einer komfortablen Mehrheit in die Rada (Sowjet), höchstes Organ der Krim, gewählt, das ihn an die Spitze des Kabinetts setzte. Sofort darauf ging er mit zwei seiner Mitarbeiter auf Urlaub, um die neue Verfassung auszuarbeiten. Sechs Monate später, im Oktober 1998, wurde sie angenommen. Auch wenn Kiew über die Rückkehr eines Kommunisten an die Macht nicht sehr erfreut war, stellte sich schnell heraus, dass die Autonomie nicht nur verständlich, sondern gar lenkbar geworden war.

Türkische Gefahr
Vor zwei Jahren, mitten im „Krimfrieden“ (jetzt weiß ich, dass es zwischen zwei Kriegen war, aber damals ahnte ich es nur) traf ich Leonid Gratsch. Nicht für ein Interview, sondern eher zu einer Diskussion. Ich begann natürlich mit dem Problem, das die Halbinsel zum Streitobjekt werden ließ: Musste man denn 1954 den administrativen Status der Krim zugunsten der „Sozialistischen Ukraine“ ändern? 37 Jahre später hat dieses „Geschenk von Chruschtschow“ die Beziehungen zwischen den beiden Staaten vollkommen vergiftet.
Wollen Sie, dass ich Ihnen eine Geschichte erzähle? Vor einigen Jahren weilte der ehemalige türkische Präsident Demirel auf der Krim zu Besuch. Ich begleitete ihn zum Flughafen. Plötzlich nimmt er meine Hand und sagt : „Gewähren Sie der Türkei die Rechte für das Tourismusgeschäft und Ihre Sanatorien und Erholungsheime werden unverzüglich voll sein“. Ich verstand, dass innerhalb weniger Jahre unsere gesamte Infrastruktur Gefahr lief, sich in den Händen unserer Nachbarn jenseits der Meere wiederzufinden. Meine Antwort war ‚Nein‘. „Verstehen Sie nun, warum ich alles unternehme, um die Reise von Touristen und russischen Geschäftsleuten auf die Krim zu erleichtern. Meiner tiefen Überzeugung nach muss dieses Gebiet slawisch bleiben. 1999 überstiegen die russischen Investitionen zum ersten Mal in unserer Wirtschaft jene der Türkei. Anstatt ewig den von Chruschtschow beschlossenen Übertritt der Krim in die Ukraine zu diskutieren, warum stellt niemand die Frage, was wohl passiert wäre, wenn das Russische Reich 1787 den Krieg gegen den türkischen Sultan und den Khan der Krimtartaren nicht gewonnen hätte? Wir würden heute nicht über die Rechte der Ukraine oder Russlands diskutieren, denn seit mehr als zwei Jahrhunderten wäre die Krim türkisch. Und die Gefahr besteht weiterhin, selbst heute. Wissen Sie, dass während vier Jahren in demselben Büro, in dem wir jetzt reden, dem offiziellen Präsidentenbüro der Obersten Rada der Krim, die Versammlungen der größten Mafiosi der Region stattfanden? Unsere Badestrände, unsere Küstenhäfen ziehen schmutziges Geld aus der ganzen Welt an. Einer meiner Vorgänger, Suprunjuk, wird noch immer von Interpol gesucht. Verstehen Sie? Das ist keine Krimrepublik, die wir geschaffen haben, sondern eine wahre ‚Republik der Kriminalität‘. Darum war mein erster Amtsakt die Verfassung zu ändern.“
Die „Verfassung von Gratsch“ ist die dritte innerhalb von zehn Jahren; schon die erste war von ihm angeregt worden. In den letzten Tagen der Sowjetunion noch gescheitert, akzeptierte Kiew unter dem Druck der „neuen Unabhängigen“, die mit einem Referendum zur Rückgliederung der Krim an Russland drohten, 1992 die Idee von einer autonomen Republik. „Die geopolitische Ratlosigkeit in der Ukraine zu jener Zeit“ fuhr mein Gesprächspartner fort, „war derartig groß, dass die Gefahr einer Weigerung bestand, ‚das Geschenk von Chruschtschow‘ als ein Zugeständnis an die Grenzen des neuen Staates zu betrachten. Die Truppe der Drei: Jelzin aus Russland, Krawtschuk, Präsident der Ukraine, und Schuschekewitsch, damaliger Präsident des Obersten Sowjets Weißrusslands, beschlossen im Dezember 1991, Gorbatschow zu stürzen. Das gegenseitige Engagement für die Zukunft lautete: ‚Hände weg von meinem Freund!‘ Jelzin hielt Wort. Aber die Ukraine konnte die Krim nur noch an einer langen Leine halten“.
Dank dieser langen Leine gelang es 1994, einen russischen Zusatz in die Krimer Verfassung einzubringen; das heißt das Recht, einen eigenen Präsidenten zu wählen. Der glücklich Auserwählte, Juri Meschkow, war vor allem für seine Reden bekannt, welche die Anhänger seines „politischen Blocks“, den man unter den Namen „Russland“ kennt, regelrecht in Begeisterung versetzten. Zu Beginn welche Freude in der Duma Russ-lands: Die Krim kehrt in ihr Zuhause zurück! Jedoch einige Wochen später war Russland wütend: Anstelle zum Antrittsbesuch nach Moskau zu reisen, fuhr der „kleine Präsident“ nach Tatarstan. Das alte Versprechen des noch Präsidentschaftskandidaten Jelzin, „Nehmt soviel Souveränität, wie Ihr vertragen könnt“ hat diese kleine rebellische Republik im Innern Russlands in die Tat umgesetzt und ging gar so weit, ihrer Verfassung gegenüber jener der Föderation den Vorrang einzuräumen. Letztendlich war es Moskau, das die tatarische Unabhängigkeit nicht schlucken konnte. Mühsam musste man einen „Funktionsmechanismus zur Regelung der Dissonanzen“ finden.
Doch der neue Chef auf der Krim war fest entschlossen, noch einen Schritt weiter zu gehen: die Verkündung der Unabhängigkeit. Nun die Geduld verlierend, setzte Kiew den Präsidenten Meschkow kurzerhand ab und annullierte die Krimer Verfassung. Sie zwang der Krim eine andere auf, „Version 66“, die viel loyaler gegenüber dem „Zentralstaat“ ist. Dennoch war die „Republik der Kriminalität“ bereits entstanden.
„Die ethnischen Konflikte bieten der Kriminalität eine hervorragende Möglichkeit im Schatten zu agieren. Von den hundert Sitzen in unserer Versammlung gehören vierzehn der tatarischen Gemeinschaft, die trotzdem nicht aufhört, noch mehr zu fordern. Folgt man dieser Logik, warum nicht dann auch eine 'russische Quote', eine 'ukrainische Quote' usw. Noch ein bisschen und die Halbinsel droht zu explodieren. Und ich versichere Ihnen, das hier wird schlimmer als in Tschetschenien.“
In seiner Verfassung, „Version 1998“ hatte Gratsch eine andere Klausel vorgesehen. Die Krim bliebe Teil der Ukraine, die Bewohner ukrainische Bürger. Aber gleichzeitig wären sie Krimer – ein neues ethnisches Gebilde aus Russen, Ukrainern, Tartaren und anderen kleinen Volksgruppen der Halbinsel. Auch wenn die Ukraine nur eine einzige Sprache als Amtssprache anerkennt, hätten auf der Krim drei Sprachen die gleiche Berechtigung. Es wäre eine autonome Volksrepublik mit der Obersten Rada, bestehend aus dem Kabinett, deren Mitglieder durch allgemeines Wahlrecht in hundert Kreisen der Krim gewählt werden; zusätzlich einem Präsident und eine dem Parlament gegenüber verantwortliche Regierung. Das Pulverfass war entschärft, aber nur für vier Jahre...

Der starke Mann einer schwachen Regierung
Anfang dieses Jahres nahm zwecks eines Interviews mit dem Premierminister der Pressedienst von der Krimer Regierung Kontakt mit mir auf. Dieser hieß nicht mehr Sergej Kunitzin, mit dem Gratsch spinnefeind war. Im August letzten Jahres wurde er durch Waleri Gorbatow ersetzt. Man schickte mir ein Dossier mit all seinen öffentlichen Auftritten: In den letzten acht Monaten hatte Gorbatow nicht ein schlechtes Wort über Gratsch verlauten lassen. Das Interview dauerte drei Stunden. Ich merkte sehr schnell, dass ich einen mächtigen, kraftvollen Mann voller Ideen und einer klaren Vision vor mir hatte. Bevor er die Nummer 2 auf der Krim wurde, war er Kolchosevorsitzender, Vertreter des Präsidenten der Ukraine auf der Krim (Das war zur Zeit des sogenannten Präsidenten Meschkow, der die ganze Halbinsel mit Plakaten ‚Gorbatow raus!‘ überschwemmte) und außerdem Stiftungspräsident des Staatsvermögens der Krim („Mein Vorgänger wurde vor seinem Haus ermordet... mehr als hundert ‚offizielle‘ Tote in der ‚Republik der Kriminalität‘“). Quasi die gleichen Sätze, die gleichen Worte, die ich schon bei der Nummer 1 gehört hatte. Doch dann plötzlich:
„Aber wenn Gratsch an der Spitze des Parlaments bleibt, wird auf der Krim das Chaos ausbrechen. Dieser Mensch hat viel Talent, das ist wahr. Es ist sehr schade, denn seine Demagogie wird immer gefährlicher. Wir haben in der Ukraine 25 Oblaste und eine Autonome Republik, die unsrige. Also, 25 administrative Gruppen arbeiten direkt mit der Zentralregierung zusammen. Nur wir nicht. Aufgrund der von Gratsch erarbeiteten Verfassung sind wir von Kiew unabhängig. Wir zahlen ihnen keine Steuern, aber das kommt uns teuer zu stehen. Kiew lässt keine Gelegenheit verstreichen, um uns zu sagen, dass wir selbst zurechtkommen müssen. Man glaubt frei zu sein, doch ist zum Betteln gezwungen. Soll das die Autonomie sein? Machen Sie sich noch eins klar: Unser Parlament ist keine verfassungsgebende Versammlung, das heißt, es hat nicht das Recht Gesetze auszuarbeiten. Alle Gesetze kommen vom ukrainischen Parlament. Die einzige Funktion die Gratsch und seinem Parlament bleibt, ist die Regierung zu führen. Es ist unmöglich mit Gratsch zusammenzuarbeiten. Jedes Regierungsmitglied kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt von seinem Posten gejagt werden. Bis auf den Premierminister, in seinem Fall braucht es die Zustimmung Kiews. Der letzte Winter war schrecklich: -20° auf der Krim! Der Bau und die Reparatur von Heizkesseln hatte für uns absolute Priorität. Was glauben Sie hat er gemacht, unser Chef mitten im Winter? Das Parlament hat beschlossen, das Budget für die sofortige Rekonstruktion des Zirkus und einer Bibliothek zu verwenden. Und anschließend sagt er den Leuten vor ihren Fernsehern: Die Regierung ist schuld, wenn Ihr friert!“
Meines Wissens haben Sie das niemals in der Öffentlichkeit erzählt. Warum einem Journalisten aus Moskau?
„Gerade. Leonid Gratsch kam jetzt aus Moskau zurück, wo er viele schöne Reden über die Freundschaft mit Russland hielt. Das ist seine offizielle Aufgabe, unsere Region in der Welt zu präsentieren und nützliche Kontakte zu knüpfen. Aber ein Projekt historischen Ausmaßes zu lancieren, wie er es in Moskau getan hat, ohne vorher mit seinem Parlament darüber zu diskutieren! Wir haben dies natürlich nach seiner Rückkehr nachgeholt. Um eine Brücke vom russischen Kuban bis zur Krim zu bauen, braucht es wenigstens anderthalb Milliarden Dollar. Wo dieses Geld auftreiben? Das bedeutet Arbeit für mindestens zwanzig Jahre. Aber kaum zurück, hört Gratsch nicht auf gegen die Regierung zu meckern... und wissen Sie weshalb?“
„Nein“.
„Das ist die Logik seiner Wahlkampagne: Ich versuche mein Möglichstes, es ist die Regierung, die mich hindert. Im Parlament hat er noch immer die kommunistische Mehrheit hinter sich, doch das entspricht keineswegs mehr den realen politischen Machtverhältnissen in der Region. Das weiß er auch. Aus diesem Grund kandidiert er bei den Wahlen am 31. März nicht als Parteichef, sondern als Vorsitzender des ‚Gratschblocks auf der Krim‘. Die Zentrale Wahlkommission wurde nur mit seinen Getreuen aus dem Parlament gebildet, ohne auch nur einen einzigen Vorschlag der Opposition zur Kenntnis zu nehmen. Das kann uns viel Ärger einbringen...“.
Ich war also vorgewarnt, der Krieg könne jeden Moment ausbrechen, doch als ich eines Morgens das Radio einschaltete – Bumm! war sogar ich von der Brutalität überrascht.
Das Bezirksgericht der Stadt Simferopol, Hauptstadt der Krim, wies die Kandidatur Leonid Gratschs im 25. Wahlkreis der Stadt aus drei Gründen zurück: Nicht er selbst hat seine Papiere ausgefüllt (tatsächlich hatte er sich gerade die rechte Hand gebrochen); in seiner Einkommenserklärung hatte er 160.000 Griwna vom Verkauf seiner ehemaligen Wohnung nicht aufgeführt und die Quadratmeterfläche seines frisch gebauten zweistöckigen Hauses um 200m² verkleinert. Nichtsdestotrotz wurden dieselben Papiere problemlos in Kiew akzeptiert, wo Gratsch auf Listenplatz 11 der Kommunistischen Partei für das ukrainische Parlament kandidiert.
Die Krimkriege verbreiten sich in Blitzgeschwindigkeit. Große Demonstrationen in der gesamten Region, Zelte vor der Obersten Rada, wo die Leute Tag und Nacht Wache halten. Gratsch gibt eine Erklärung ab: Wenn das Appellationsgericht ihm nicht wieder seine legitimen Rechte zugesteht, wird er ein Referendum über die Rückgliederung der Krim an Russland in die Wege leiten. Zwei Tage später eine neue Erklärung: Man habe ihn missverstanden, er wollte sagen, dass „bestimmte politische Kräfte“ ein solches Referendum lancieren könnten. Sturm in Kiew, Gewitter in Moskau! Ein Telefonrodeo zwischen Moskau-Simferopol und Moskau-Kiew beginnt. Deklarationen, Demonstrationen folgen. Eines Tages erfährt man, dass die zentrale Wahlkommission, dem kommunistischen Leader treu ergeben, 33 Kandidaten der Oppositionsparteien von der Liste gestrichen hat; unter ihnen der ehemalige Ministerpräsident Sergej Kunitzin. Der Kuhhandel ist eröffnet: Die Wahlkommission wäre bereit, die gestrichenen Kandidaten wieder zuzulassen, wenn die Opposition ihrerseits auch einen Schritt täte und ihre Klage beim Gericht zurückzöge. Schließlich hört man, dass Leonid Gratsch sich erneut in die Kampagne stürzt. Doch das war ein Doppelgänger, ein gewisser Alexander Papeta, der gerade seinen Vor- und Zunamen geändert hatte. Gegen ihn und die Personen, die ihm bei der Beschaffung eines neuen Ausweises auf den Namen Leonid Gratsch halfen, läuft ein Verfahren. Was den echten Leonid Gratsch anbetrifft, lehnte das Appellationsgericht seine Registrierung als Kandidat definitiv ab. Doch zwei Tage vor den Wahlen stellte das Oberste Gericht der Krim fest, dass seine Papiere völlig in Ordnung seien. Gott sei Dank! Am 31. März wurde er gleichzeitig in Simferopol und Kiew gewählt – ins regionale und ins ukrainische Parlament. Trotzdem weigert sich die Wahlkommission des Kreises 25 weiterhin, die Papiere zu unterzeichnen. Als letzte Instanz muss das Oberste Gericht der Ukraine am 19. April darüber entscheiden. Ist dieser Tag endlich gekommen, wird Gratschs Sieg bestätigt werden.
Derzeit steht er vor einer schwierigen Wahl: Auf der Krim bleiben oder nach Kiew gehen? Der „Gratschblock“ hat nicht mehr die parlamentarische Mehrheit, und es könnte passieren, dass Gratsch den Posten als Präsident der Versammlung nicht bekommt. Als einfacher Abgeordneter in der Opposition bleiben? Das ist zu wenig für einen Mann, der kein Hehl aus seinen Ambitionen für die Präsidentschaftswahlen 2004 macht.
Die Wahlergebnisse vom 31. März sind für die Ukraine eher bitter: die Partei an der Macht, „Für eine vereinte Ukraine“, errang 104 Sitze, die nationale Oppositionspartei, „Unsere Ukraine“ 112 Sitze und die Kommunistische Partei 66 Sitze. Außerdem kamen noch drei Parteien über die nötige 4%-Hürde. Nun heißt es eine parlamentarische Mehrheit finden. Welche Strategie ist dazu vonnöten? Mit Russland (jene von der Partei an der Macht) zu Europa stoßen oder ganz alleine und schnell (jene der nationalen Oppositionspartei)? Welche Strategie wird Gratsch unter diesen Umständen wählen? Hat er wirklich eine Chance sich der ganzen Ukraine, ohne die Krim im Rücken, entgegenzustellen? Zumal es im Kiewer Parlament entschlossene Widersacher, wie zum Beispiel Waleri Gorbatow, seinen gegenwärtigen Premierminister, gibt.
Jeden Tag schalte ich das Radio ein... Bumm! Bumm? Es geht immer weiter.