WALD: Weltweites Biomassaker

von Nicholas Bell, 22.12.2014, Veröffentlicht in Archipel 232

Der Kampf gegen die riesigen Biomasse-Kraftwerke von E.On in Gardanne und Inova in Brignoles im Süden Frankreichs geht weiter, nicht zuletzt mit zwei Demonstrationen an Ort und Stelle, die das Kollektiv SOS Forêt du Sud organisiert hat und bei denen sich mehrere hundert Gegner_innen der Kraftwerke trafen.

Am 5. Oktober fanden wir uns vor dem Rathaus in Gardanne ein, mitten im Wochenmarkt. Es waren Mitglieder von SOS Forêt aus mehreren Departements sowie zahlreiche Kommunalpolitiker_innen und Abgeordnete dabei, die sich um die Zukunft der Wälder und der lokalen Biomasse-Branche sorgen. Am 16. Oktober versammelten wir uns in Florac in den Cevennen.
Trotz dieses Protests, trotz zweier Rekurse gegen die bereits gewährten Betriebsgenehmigungen an E.On, trotz der starken Kritik aus Experte_innenkreisen, der Fors-tarbeiter_innen-Gewerkschaft und der Kommunalpolitiker_innen, verfolgt E.On die Vorbereitungsarbeiten für sein wahnwitziges Bio-masse-Projekt, das durch Holzverbrennung elektrische Energie erzeugen soll. Seit dem 20. August haben zahlreiche Lastwagen Rohholz auf das Gelände des Kraftwerks gebracht.
Harte Konkurrenz Die Ankündigung dieser Mega-Kraftwerke hat bereits starke Spannungen auf dem Holzmarkt in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur (PACA) und sogar über sie hinaus ausgelöst. E.On ist bezüglich der Suche nach langfristigen Holz-Belieferungsverträgen zu einer harten Konkurrenz für die Papierbrei-Fabrik Fibre Excellence (Herstellung von Toilettenpapier etc.) in Tarascon geworden. Beide Unternehmen versuchen, sich eine Holzreserve zu schaffen. «Biomasse-Kraftwerke in der Region PACA: der Holzkrieg ist ausgerufen» titelte die Zeitung Var Matin am 11. August 2014.
Le Moniteur interviewte am 1. August einen Mitarbeiter der Papierfabrik: «‚Das ist totaler Aberwitz‘, meint François Lewin, Verantwortlicher für die Belieferung von Fibre Excellence. Er musste vor kurzem 30'000 Tonnen Holz für den Betrieb seiner Fabrik aus Venezuela importieren, weil er in Frankreich nicht genügend Holz kaufen kann. Er beurteilt die Holzkraftwerkprojekte in der Region als ‚extrem Unruhe stiftend‘.»
Midi Libre beschrieb die Situation wie folgt:«Unermüdlich tauchen die Hafenkräne ihre Arme in den Bauch der Green Season, um Berge von Holzschnitzeln auszuladen. Das Schiff war 17 Tage auf See, um mehr als 30'000 Tonnen Rohstoff von Venezuela herzubringen, lebenswichtig für die Papierfabrik in Tarascon. Frachtkähne werden anschließend die wertvolle Ladung die Rhône hochfahren, um sie zur Fabrik zu bringen. Die Fabrik ist eine der größten Frankreichs und liegt 60km flussaufwärts vor der Rhônemündung. Die Operation mit einem Frachter dieser Größenordnung ist eine Premiere für Frankreich. Im Hafen von Fos sur Mer wurde ein Kai extra angepasst, um das Schiff empfangen zu können. Eine titanische Organisation für eine Ladung, die nur für zehn Produktionstage der Fabrik reicht. ‚Im Februar mussten wir während drei Wochen schließen – aus Holzmangel‘, erklärt Alexandre Razgonnikoff, Geschäftsführer der Fabrik. ‚Der Produktionsstopp hat 3,2 Millionen Euro gekostet‘.»1
Resultat: ein beträchtlicher Preisanstieg, der auch Konsequenzen für die Betreiber_innen der 220 kleineren, von lokalen Körperschaften betriebenen Heizanlagen in der Region PACA hat. Diese könnten in den nächsten Jahren mit einer Budgetexplosion konfrontiert werden, da sie mit tieferen Preisen gerechnet haben.
Abholzung und Land Grabbing Alle wenden sich der Ressource Holz zu, als ob sie unerschöpflich wäre. «Holz wird in Zukunft die wichtigste erneuerbare Energie Frankreichs sein» bestätigte kürzlich die Energieministerin Ségolène Royal, die das Wachstum dieser Sparte rühmt. Es wird jedoch immer deutlicher, dass die langfristige «Lösung» der Import riesiger Mengen von Holz sein wird, um die moderne Begeisterung für die industrielle Holzenergie zu befriedigen. Eine derartige Entscheidung hat bereits Großbritannien getroffen.2 Aufgrund des starken Protests von über 400 lokalen Gruppen3 scheint die französische Regierung dazu überzugehen, den Druck auf die lokalen Wälder zu senken, indem sie von E.On verlangt, die Holzimporte zu steigern. Dies läuft allerdings den Erklärungen der französischen Regierung zuwider, welche die Unabhängigkeit der Energieversorgung fordern. Im Rapport vom Juli 2013 Die Wachstumspolitik für die erneuerbaren Energien schreibt der französische Rechnungshof: «Die Unterstützung der Biomasse-Branche bringt Konflikte über die Nutzung der reell vorhandenen Ressource mit sich. Die Inflation der Projekte, und vor allem der großen Projekte, kann nur negative Auswirkungen haben und die Ressourcen derart aus dem Gleichgewicht bringen, dass es schließlich zu Importen kommen wird.»
Das Resultat ist bereits sichtbar: Kahlschläge von unvorstellbarer Größe in Ländern wie Kanada. Und dies in einem Ausmaß, dass Kanada, laut dem Ottawa Citizien vom 3. September 2014, zum Land mit der höchsten Abholzungsrate geworden ist – vor Brasilien, vor Indonesien. Der Appetit von Schwergewichten wie E.On ist so enorm, dass die Bedrohung tatsächlich global ist. Die Konsequenz wird eine Beschleunigung der Abholzung sein, aber auch eine neue Welle von Land Grabbing für riesige Pflanzungen schnellwachsender Bäume ist zu erwarten.4 Über diese Problematik hat die britische Organisation Biofuelwatch kürzlich einen Bericht geschrieben mit dem Titel Die Verbindungen zwischen Land Grabbing und der europäischen Biomasse-Politik: «Aktuell stammt das meiste aus nicht-europäischen Ländern importierte und für die Nachfrage der Bio-energie bestimmte Holz aus dem Süden der USA, aus Kanada oder Russland. Laut Nichtregierungsorganisationen sehen die Industrie-Analytiker_innen und politischen Entscheidungsträger_innen jedoch vor, dass in Zukunft die südamerikanischen und afrikanischen Länder zu Großlieferanten für Holzschnitzel und -granulat werden, um die europäische Bioenergie zu beliefern. Die Zunahme der Biomasse-Importe der EU könnte in großem Maße zu Land Grabbing in den südlichen Ländern führen, so wie dies der Fall bei der europäischen Agrotreibstoff-Politik ist. Massives Land Grabbing – laut Action Aid sechs Millionen Hektar allein in Afrika – um die Agrotreibstoffe in der EU zu beliefern, ist eine Realität.»5
Bedrohung für die Gesundheit Dank unserer britischen und amerikanischen Freund_innen von Biofuelwatch haben wir außerdem entdeckt, in welchem Ausmaß die riesigen Biomasse-Kraftwerke wegen ihres Ausstoßes an Feinpartikeln, Dioxinen und Holzstaub eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen.6 Die Recherchen von Biofuelwatch zeigen, dass die Kraftwerke in Großbritannien, welche den Rohstoff Biomasse verwenden, in unterprivilegierten Gegenden stehen oder geplant sind. Der bereits schlechte Gesundheitszustand der armen Bevölkerung dieser sozial benachteiligten Orte wird von der erhöhten Luftbelastung durch die Kraftwerke zusätzlich verschlechtert. Die verletzlicheren Teile der Bevölkerung sind einem höheren Risiko ausgesetzt: Babys, Kinder, ältere Menschen, Personen mit Gesundheitsproblemen wie Asthma oder Herzkrankheiten.
Die detaillierten Auswirkungen der verschiedenen Luftverschmutzungen auf die Gesundheit hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht. Neuere Recherchen legen nahe, dass die Luftverschmutzung eine große Bandbreite an Gesundheitsschädigungen hervorbringt, wie kognitive Störungen, Gedächtnisstörungen, Depression, erhöhtes Risiko für Demenz, Autismus und Schizophrenie. Zudem ist der Holzstaub ein Karzinogen, wie auch das internationale Krebsforschungszentrum der WHO bestätigt, und birgt eine ganze Anzahl weiterer Gesundheitsrisiken.
Menschen, die nahe bei bestimmten Kraftwerken wohnen, berichten von permanenter Lärmbelastung. Andere Probleme: Selbstentzündung von Holzschnitzel und –Granulat. Feuer und Explosionen durch den Holzstaub sind ein großes Sicherheitsrisiko überall dort, wo große Mengen Holzschnitzel oder -Granulat bewegt werden. Zwischen 2008 und 2012 berichteten die Medien weltweit von mindestens 76 Unfällen mit Brand oder Explosionen in Verbindung mit Holzstaub, darunter einige tödliche. In Großbritannien etwa gab es in zwei von drei auf Biomasse umgerüstete Kohlekraftwerke große Brände. Die Frage nach den Auswirkungen auf die Gesundheit wird in den USA sehr ernst genommen, wo im September 2012 eine Ex-pert_innenanhörung im amerikanischen Kongress stattfand.
Der schottische The Courier schreibt am 29. Oktober 2014: «Die Personen, die im Schatten des Biomasse-Kraftwerks von 65 Megawatt in Markinch leben, bestätigen, dass das Kraftwerk nicht tolerierbare Auswirkungen auf ihre Gesundheit und die Umwelt hat. Die Anwohner beklagen sich über einen exzessiven Lärm, Lichtverschmutzung von der starken Beleuchtung und den Emissionen der Verbrennung. Die Gegner sagen, dass die Lagerung der riesigen Berge Holzschnitzel für den Betrieb der Zentrale Staubwolken hervorruft.»
Die Anlage, welche das Holz für das Kraftwerk kleinhackt, befindet sich 20 km von Markinch entfernt. Eine ganze Anzahl Anwohner_in-nen. haben sich beklagt, dass der Wind Partikel der Holzschnitzel von der Anlage in ihre Gärten und auf ihre Häuser trägt. «Wir müssen ständig unsere Autos und Fenster putzen und wenn der Wind den Staub herträgt, können wir uns nicht mehr in den Garten setzen. Über diesen Aspekt der Belastung hinaus machen wir uns Sorgen um unsere Gesundheit. Wir sichten zurzeit die Untersuchungen über Fälle in verschiedenen Regionen Großbritanniens und im Ausland, weil es Anzeichen gibt, dass der Staub, der beim Kleinhacken des Holzes entsteht, die Gesundheit der Menschen belasten könnte.» Heather Kane berichtet: «Der Staub ist schlimmer an windigen Tagen. Kürzlich hatten wir den Eindruck, es schneie. Das kann nicht gut sein für Leute mit Asthma.»
In der Ausgabe vom 24. August 2014 warnte die britische Zeitung Daily Express ihre Leser_innen ebenfalls vor den Gefahren des Holzstaubs, der, wie der Artikel vermerkt, seit 1995 von der WHO in der ersten Gruppe karzinogener Stoffe klassiert ist.
Erinnern wir uns, dass die Anlage zur Herstellung der Holzschnitzel für das E.On-Kraftwerk in Gardanne sich direkt auf dem Fabrikgelände befindet, also in einer stark bevölkerten Zone. Die ersten Schredderversuche haben Anfang November begonnen und sofort haben die Anwohner beobachtet, dass sich eine Staubschicht auf ihre Häuser, Gärten, Schwimmbäder gelegt hat…7

  1. Midi Libre, 1. August 2014.
  2. Siehe Archipel, Nr. 227
  3. Die letzte Motion wurde vom Conseil Générale Alpes-de-Haute-Provence im Oktober 2014 verabschiedet.
  4. Hierbei werden gentechnisch veränderte Bäume eine große Rolle spielen. Siehe z.B. Courrier International vom 12.12.2012 oder www.infogm.org/-ogm-les-arbres-transgeniques
  5. www.biofuelwatch.org.uk
  6. www. biofuelwatch.org.uk, in der Rubrik Publications.
  7. Mehr Informationen finden Sie auf www.sosforetdusud.org