ZENTRALAMERIKA : Grüße aus Mexiko 3.Teil

von Georges Lapierre, 26.01.2010, Veröffentlicht in Archipel 177

Dieser Bericht ist der vorletzte Teil einer Artikelreihe von George Lapierre, von dem wir bereits eine Serie mit demselben Titel in den Nummern 115 bis 118 (2004) veröffentlicht haben. Lapierre lebt in Mexiko und in Frankreich.

Vom 21. bis 23. August 2009 fand am Ufer des Rio de los Perros ein Forum statt. Einberufen wurde es von der Versammlung zur Verteidigung von Land und Territorium von Juchitán. Thema war: wie kann man sich der Invasion von Windmühlen widersetzen, die den starken Wind in Energie umwandeln, der ständig auf der Landzunge von Tehuantepec bläst?

Das Eindringen in diese Regionen bedeutet, eine Welt zu entdecken, in der Horror alltäglich und eine schreckliche Zukunftsfiktion zur Realität wird. Die Heere von Windmühlen, die mit ihren riesigen Flügeln die Luft umwälzen, bieten eine apokalyptische Vision, besonders wenn man davon ausgeht, dass all diese Stahltürme auf ihren Betonsockeln in zwanzig oder dreißig Jahren nur noch eine immense Industriewüste sein werden. Kürzlich weihte Señor Fécal, Präsident Calderón genannt, den ersten Bauabschnitt ein. Er wurde von seinem Gouverneur Uro begleitet und durch einen Aufmarsch von mehr als tausend Soldaten geschützt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich der Widerstand gegen die Windmühlen viel zu spät organisiert hat und wir als neue Don Quichotten für eine Welt kämpfen, die schon verschwunden ist. Einige Gemeinden wie Union Hidalgo und San Mateo del Mar haben sich jedoch mit Erfolg gegen diese Invasion gewehrt. Andere Gemeinden wie la Venta, San Dionisio del Mar, Santa Maria haben auf Grund von internen Komplizenschaften den Widerstand aufgegeben.

Aus mehreren Gründen war das Treffen interessant. Alle waren sich einig über die Wichtigkeit der gemeinschaftlichen Tradition und der Notwendigkeit, sich auf die Versammlung der Comuneros (1) abzustützen. Es gilt, diese Versammlung neu aufzubauen und zu stärken sowie eine Front zu bilden gegen diese zuvor nie da gewesene Vereinnahmung eines riesigen Territoriums. Die indianischen Gemeinden definieren sich über ihr Territorium und sie müssen über dessen Zukunft entscheiden können und darüber, welche Entwicklung sie mit welchem Ziel wünschen. Von diesem Gedanken der Selbstbestimmung ausgehend sind Differenzen aufgetaucht. Gewisse Gemeinden scheinen an einem selbstverwalteten Energieprojekt interessiert zu sein, wenn sie den Gewinn behalten. Natürlich liegt es an ihnen, für die Finanzierung aufzukommen. So wie im Fall der Gemeinde Ixtepec, der es darum ging, den Wert ihres Territoriums nutzbringend einzusetzen mittels einer kontrollierten Urbanisierung, Aufforstung, Einteilung bestimmter Zonen für Landwirtschaft und anderer für Viehzucht, der Umgestaltung des Flussufers. Ein Vertreter der Gesellschaft Yamsa schlug der Gemeinde ein Bauprojekt von «gemeinschaftlichen» Windmühlen vor: «Ihr bekommt Eure Windmühlen gebrauchsfertig, wir leihen Euch sogar zur Finanzierung des Projektes Geld zu interessanten Zinssätzen und anschließend teilen wir uns den Gewinn, der vom Verkauf der überschüssigen Energie übrig bleibt.» In Krisenzeiten wie diesen mangelt es den transnationalen Unternehmen nicht an Einfällen und auch nicht an Unverschämtheit. Natürlich wird diese Art von einem «kooperativen» Projekt als soziale und gemeinschaftliche Alternative zur kapitalistischen Grausamkeit dargestellt. Dieser Vorschlag einer alternativen Lösung hat jedoch in meinen Augen den Verdienst, die Frage der aktuellen sozialen Debatte zu formulieren: Sollen wir der Logik eines Systems - des kapitalistischen Systems – beitreten, um es zu Gunsten der ganzen Gesellschaft umzuwandeln, oder sollen wir mit der Logik brechen und einer anderen Lebensweise, die auf anderen Werten beruht, den Vorrang geben? Während der Debatte tauchten sehr schnell zwei Tendenzen auf. Die einen waren strikt gegen ein solches Projekt, die anderen verteidigten es mit mehr oder weniger Überzeugung und Vehemenz. Die Befürworter eines radikalen Bruchs mit der Logik der Warenwelt suchten vor allem danach, die Stärkung des Gemeindelebens und die kulturellen Werte, die es in sich trägt, in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Die Befürworter einer «energetischen Alternative» spürte ich nach und nach weniger überzeugt («warum brauchen wir immer mehr Energie? Mit welchem Ziel?»). Nach dem Vorschlag, das Forum in eine Versammlung umzuwandeln, der von allen Teilnehmern angenommen wurde, fand am Sonntag die regionale Versammlung der Völker der Landenge von Tehuantepec zur Verteidigung von Boden und Territorium (Asamblea de pueblos indigenas de la región del istmo de Tehuantepec en defensa de la tierra y del territorio) statt.

Gemeindeland

Von allen Resolutionen der Versammlung ist besonders folgende zu beachten. Es handelt sich um die Neudefinition des Gemeindeterritoriums in Bezug auf die institutionelle Versammlung der Comuneros. In den meisten Gemeinden der Landenge ist diese Einrichtung schwer beeinträchtigt. In Juchitán ist der schwierigste Fall zu lösen. Dort war Professor Victor Pineda Henestrosa, Victor Yodo genannt, ein sozialer Anführer und setzte sich Ende der 1970er Jahre ein, unrechtmäßig angeeignetes Gemeindeland aus den Händen der Terratenientes 2 und Kaziken zu befreien. Seit seinem Verschwinden und seiner Ermordung im Jahr 1978 durch das 11. Infanteriebataillon hat Juchitán kein Comisariado mehr, das heißt kein Arbeitsteam, das aus Präsident, Kassierer und Sekretären besteht und von den Comuneros, den «authentischen Bauern», gewählt wird, um das Gemeindegut zu verwalten. In den 1980er Jahren schenkte die Linke, die mit der COCEI 3 im Bürgermeisteramt von Juchitán saß, der Agrarfrage keinerlei Aufmerksamkeit. Die politische Macht wurde durch die Gemeindeverwaltung vertreten und stand in Opposition zur Macht der Kollektivität, der Gemeindeversammlung. Gemeindeverwaltung contra Gemeinde in gewisser Weise. Juristisch ist es möglich, die Autorität der Gemeindeversammlung rückwirkend wieder einzusetzen, genauer gesagt die Autorität der Versammlung der Comuneros. Denn die Comuneros sind ein unbestrittener Teil der Urgemeinschaft, die einen juristisch anerkannten Anspruch auf ein ihr zugehöriges Territorium hat. Eines der nächsten Hauptziele dieser ersten regionalen Versammlung der Völker der Landenge ist es, die Versammlung der Comuneros in Juchitán wieder ins Leben zu rufen und im selben Elan das Gemeindeland aus den Händen der Kaziken zu befreien. Diese Wiederbelebung wird einen großen Interessenkonflikt hervorrufen, denn viele Pseudobesitzer haben schon Land, das ihnen gar nicht gehört, an transnationale Unternehmen verpachtet. Es stellt sich jedoch ein Problem, auf das ich hier aufmerksam machen möchte. Es ist in allen etwas größeren Gemeinden zu finden, und seine Lösung sollte eine der Hauptaufgaben der indigenen Bewegung sein. Das Problem existiert in Ostula, wie in Juchitán, in San Blas Atempa oder in Atlapulco, und zwar: Wie werden diejenigen integriert, die nicht Comunero sind und kein Teil der Urgemeinschaft der «authentischen Bauern»? Die dafür aber dem Calpulli aus der vorspanischen Zeit angehören, der mit dem Territorium Altepetl verbunden ist und zum Beispiel von der spanischen Krone anerkannt war? Wie können all die Indigenen und Mestizen integriert werden, die der ersten Gemeinschaft nicht angehören und die regionalen Zentren seither bevölkert haben? (Auch die Frauen sind oft von den Versammlungen der Comuneros ausgenommen). Das ist eine brennende Frage in den Gemeinderäten, sie betrifft aber auch kleinere Ortschaften. Dort haben vor allem die jungen Leute kein Land (der Mangel an Land ist in vielen Gemeinden das Hauptproblem), sind dadurch ausgegrenzt und vom Gemeindeleben ausgeschlossen. Es ist eine entwurzelte Bevölkerung, die keine Anbindung an das Territorium hat. Sie hat keinen Zugang zum Gemeindeland oder zum Ejido 4. Die Verbindung mit der Urgemeinde bleibt aus diesem Grund unklar und gestaltlos. Auf diesen Bevölkerungsteil, der von der Urkerngruppe ausgeschlossen ist und in sich selbst keine Identität findet, stützt sich die politische Macht, um die Staatsdiktatur zu errichten 5.

Korruption

Als wir in Xayakalan – die Gemeinschaft der Nahuatl von Ostula hatte dort Land zurück erobert – die Existenz der Mestizen ansprachen, die doch eine wichtige Komponente im Dorf sind, antworteten uns die Gemeindevertreter, dass die indigene Gemeinschaft und die Gemeinschaft der Mestizen wie Öl und Wasser sind und sich nicht vermischen können. Sicherlich ist eine beachtliche Anzahl von Mestizen zum Feind übergelaufen. Die Kaziken und Pseudobesitzer, die einen Teil des Gemeindelandes an sich gerissen haben spielen im Dorfleben die Rolle der Speerspitze der Warenwelt mit ihrer grenzenlosen Gier. Ich denke, die Urgemeinschaft sollte das oben erwähnte Problem dringend zur Kenntnis nehmen und eine Brücke schlagen, damit sich eine Kollektivität mit einer erweiterten Basis bildet, und dass die schwankende Bevölkerung in das Leben der Gemeinde eingebunden wird. Nicht alle haben Land an sich gerissen, es gibt Handwerker, kleine Ladenbesitzer, Tagelöhner, und es geht darum, Wege zu finden, um die aktive Teilnahme dieser Bevölkerungsgruppe an den Gemeindeversammlungen zu ermöglichen und zu fördern. Diese Integrationsmechanismen in die Urgemeinschaft sind zu erfinden und zu schaffen. Kürzlich war ich in Tataltepec de Valdes, in der Region von Chatina. Dort scheint die Gemeinschaft das Problem teilweise gelöst zu haben. Die Comuneros versammeln sich ihrerseits, und bei der Generalversammlung ist die ganze Bevölkerung anwesend. Letztere bestimmt die Dorfvertreter nach altem Brauch und Sitte. Im Fall des Bauvorhabens von einem Staudamm hielt das Dorf zwei Versammlungen ab. Die Versammlung der Comuneros war einstimmig dagegen und die Generalversammlung war mehrheitlich dagegen. Für die Gemeinden des Staates von Oaxaca ist es sicherlich leichter, eine Lösung zu finden. Dort sind die gemeinschaftlichen Gepflogenheiten teilweise durch die staatliche Konstitution anerkannt. In anderen Staaten der mexikanischen Republik, wo dies nicht gesetzlich verankert ist, korrumpieren politische Parteien das öffentliche Leben. Wenn die Versammlung der Comuneros, und allgemeiner gesagt die Gemeindeversammlung, die Neuankömmlinge oder jene ausschließt, die keinen Zugang zum Gemeindeland oder zum Ejido haben, ist das Risiko groß, dass dieser Bevölkerungsteil die Staatsinteressen gegen die Gemeindeinteressen vertritt. Der Aufbau oder die Stärkung der Autonomie lässt sich nicht durch Ausgrenzung erreichen, sondern sicherlich durch eine Öffnung für die anderen, damit auch sie sich in einer Idee oder einer gemeinsamen Kultur, wie dem Konzept der Gemeindlichkeit, wiedererkennen können. Ein Großteil der Mestizen ist kollektiven Werten noch verbunden. Sie zögern noch zwischen ihrer ausgesprochenen Vorliebe für das Gesellschaftsleben und ihrem manchmal übersteigertem Hang zum Individualismus, auf der anderen Seite halten sie an den Festen, den Traditionen, den Bräuchen und der Lebensweisheit der Vorfahren fest. In Juchitán («la Comunidad-Ciudad» 6, die Stadt-Gemeinschaft) zum Beispiel, dürfte das erneute Einrichten der Gemeindeversammlung, an der sich ein Großteil der einheimischen Bevölkerung beteiligt, auf keine unüberwindbaren Schwierigkeiten stoßen. Dort ist die Kultur der Binnizá (Zapoteken) mit ihren Festen oder Velas, ihren Dichtern und Musikern noch lebendig.

  1. Die Comuneros sind Mitglieder der Urgemeinschaft (die Chefs der Familien), deren Territorium (oder Gemeindeland) vom Staat juristisch anerkannt wurde.

  2. Landbesitzer

  3. Koalition von Arbeitern, Bauern und Studenten auf der Landenge

  4. Ejido: staatliches Land, das per Dekret des Präsidenten einer bäuerlichen Kollektivität zugesprochen ist. Diese Praxis, die einen gemeinschaftlichen Zugang zum Land ermöglichte, ist seit 1992 definitiv beendet.

  5. Innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe rekrutieren die Regierung und örtlichen Machthaber ihre Handlanger und Paramilitärs. Dabei nutzen sie die Konflikte um den Zugang zum Gemeindeland zwischen Familienverbänden.

  6. Ausdruck von Carlos Manzo, Mitglied des Nationalen Kongresses der Indigenas, er ist Förderer des interkulturellen Dialogs