AGROTREIBSTOFFE: Mobilität um jeden Preis?

von Reto Sonderegger*, 13.08.2010, Veröffentlicht in Archipel 184

Schon fast unzählige Studien und Berichte haben gezeigt, dass die Agrotreibstoffe nicht halten, was ihre Befürworter versprechen. Sie sind weder ökologisch noch sozial nachhaltig. Im Gegenteil: Da sie aus den gängigen landwirtschaftlichen Commodities Soja, Palmöl, Zuckerrohr oder Mais hergestellt werden, wiederholen und vertiefen sie Ungerechtigkeiten und Zerstörungen, welches das herrschende wirtschaftliche Modell hervorruft.

Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir im Norden unsere Lebensweise drastisch ändern müssen. Es gibt kein Menschenrecht auf unbegrenzte Mobilität. Wir müssen wieder lernen, mit den lokalen Ressourcen zu haushalten und zu leben. Erdöl durch pflanzliche Treibstoffe zu ersetzen, ändert nichts an unserer Erdölabhängigkeit. Die nötigen landwirtschaftlichen Rohstoffe können nur mit einem massiven Einsatz an fossiler Energie produziert werden. Die riesigen Traktoren und Erntemaschinen, die synthetischen Dünger, die Pestizide, die Transporte über Kontinente hinweg bis hin zur heimischen Zapfsäule verbrauchen zumindest bei Soja und Mais bedeutend mehr Energie, als am Schluss herausschaut. Dazu kommt, dass die in Europa politisch geschaffene fixe Nachfrage nach Agrotreibstoffen, ein Agroexportmodell vertieft, welches von den multinationalen Konzernen kontrolliert wird und lokale Bevölkerungen entmachtet, vertreibt und ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Die Silos in den südamerikanischen Sojarepubliken legen Zeugnis ab von der territorialen Kontrolle wie einst die Burgen und Schlösser im europäischen Mittelalter und der beginnenden Neuzeit. ADM, Bunge, Cargill, Dreyfus, Monsanto, Syngenta, Bayer heissen die modernen Aristokratengeschlechter, die modernste Technologie mit einer neofeudalistischen Gesellschaftsordnung kombinieren.

Agrotreibstoffe verschärfen die Landflucht von Kleinbauern, welche Grundnahrungsmittel für die lokale Bevölkerung anbauen. Immer mehr Menschen leben dichtgedrängt in Elendsvierteln in den Großstädten des Trikonts. Um sich ernähren zu können, müssen immer mehr Lebensmittel importiert werden. Die Abhängigkeit steigt im gleichen Masse, wie die betroffenen Gesellschaften einen Souveränitäts- und Demokratieverlust hinnehmen müssen. Lebensmittel werden in so einer Situation leicht zu einer politischen Waffe. Die urbane Armutsbevölkerung wird mit assistenzialistischen Programmen hörig gemacht oder sucht sich sein Überleben in mafiösen Strukturen.
Sei es Palmöl in Indonesien oder Kolumbien, Soja in Paraguay, Brasilien oder Argentinien oder auch Holz für Agrotreibstoffe der zweiten Generation aus Uruguay oder Chile: die strukturell gewalttätigen Folgen für Mensch und Umwelt wiederholen sich. Um das Konsumniveau im Norden aufrechtzuerhalten oder gar noch zu erhöhen, indem vorgegaukelt wird, das man dies auch nachhaltig machen kann, werden ursprüngliche Wälder gerodet, Böden verdichtet, ausgelaugt und zerstört, die Artenvielfalt vernichtet, Grundwasserreserven aufgebraucht und Luft, Boden und Wasser mit Pestiziden belastet. Viele Ausgangspflanzen für Agrotreibstoffe sind schon gentechnisch verändert oder werden es bald sein. Oft geht der Ausbau der Monokulturen auch mit einer verstärkten Paramilitarisierung des ländlichen Raumes einher. Davon zeugen die Beispiele aus Kolumbien und Paraguay.
Die Aneignung von riesigen Flächen im globalen Süden für den Konsum- und Mobilitätswahn im Norden ist die Fortsetzung derselben räuberischen und zerstörerischen Kolonialgeschichte, die mit der Landung von Kolumbus 1492 begann. Nur ein radikales Umdenken im Norden, ein Bruch mit der kolonialen und imperialen Vergangenheit kann eine Perspektive zu realen Lösungsansätzen eröffnen. Erste Einsicht muss sein, dass noch mehr «Entwicklung» und «Fortschritt» uns nur noch schneller an den Abgrund treiben. Nur eine Entschleunigung unseres hektischen Lebens und ein bedürfnisorientiertes Wirtschaften basierend auf unseren eigenen Ressourcen können die Wende in der tiefen Zivilisationskrise herbeiführen.

*Reto Sonderegger, 1975, gelernter Biobauer, lebte drei Jahre in Paraguay. Heute arbeitet er in Meinier bei Genf als Landarbeiter und Sekretär der Bauerngewerkschaft Uniterre

Petition

Eine breite Koalition von Organisationen ersucht die Eidgenössischen Räte und den Bundesrat in einer Petition, strenge Zulassungskriterien für Agrotreibstoffe zu erlassen. Ein Petitionsbogen liegt dem Archipel bei. Wir bitten Sie, ihn zu unterzeichnen und weiterzuverbreiten. Weitere Informationen finden Sie auf

www.petition-agrotreibstoffe.ch