KOLUMBIEN: Saatgut ist ein globales Thema

von Katharina Morawietz Longo maï, 09.06.2014, Veröffentlicht in Archipel 226

Pies en la tierra – die Füsse in der Erde, das ist der Standpunkt der kolumbianischen Delegation des Saatgutnetzwerks «Red de Guardianes de Semillas de Vida». Sie haben in mehreren europäischen Ländern über die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt im schwierigen kolumbianischen Kontext informiert.

Mit der Beschlagnahmung und Zerstörung von 4000 Tonnen Saatgut zwischen 2010 und 2013 durch die kolumbianische Regierung ist der Kampf um die freie Saatgutvermehrung und die Bewahrung von bäuerlichem Saatgut ins Blickfeld der Gesellschaft gerückt. Die Regierung hatte im Zusammenhang mit der Unterzeichnung von Freihandelsabkommen1 ein Dekret erlassen, das den Anbau und die Verbreitung aller nicht registrierten Sorten, und damit einen grossen Teil der einheimischen und von den Bauern selbst vermehrten Sorten verbot2. Im April hat nun eine Delegation des kolumbianischen Saatgutnetzwerks Red de Guardianes de Semillas de Vida in mehreren europäischen Ländern über ihre Arbeit für die Erhaltung der Saatgutvielfalt berichtet.
Aktuell ist dieses Thema Saatgut auch in Europa, wo das EU-Parlament im vergangenen März die neue EU-Saatgutverordnung auf Grund massiver Proteste mit grosser Mehrheit abgelehnt hat. Die Verordnung wollte u.a. die Nutzung aller nicht registrierten Sorten nur noch in Form von streng geregelten Ausnahmen zulassen. Oft unterschätzt wird die Tatsache, dass die EU ihre Saatgutgesetzgebung bei der Öffnung nationaler Märkte durch Freihandelsabkommen auch den Partnerländern aufzwingt. Damit öffnet sie diese Märkte für die europäischen Saatgutkonzerne wie Syngenta, Bayer, Limagrain und alle anderen.
Vermehren der Vielfalt Die Guardianes (Hüter_innen) sind ein Netzwerk von ca. 300 Personen in verschiedenen Regionen Kolumbiens, die Saatgut vermehren und sich um die Wiederbelebung der Kulturpflanzenvielfalt bemühen. Ausgegangen ist die Bewegung von der Region Narino an der Grenze zu Ecuador im Süden Kolumbiens. Dort haben 2002 einige Bauern und Bäuerinnen aus Ecuador und Kolumbien während eines grossen Saatguttreffens das Netzwerk gegründet. In den vergangenen Jahren sind mehrere lokale Gruppen entstanden und das horizontal organisierte Netzwerk ist heute in verschiedenen Regionen vertreten. Einmal jährlich treffen sich die Guardianes zu einem Saatguttreffen, um sich auszutauschen. In Pasto ist ein Zentrum entstanden, in dem sich sechs Personen um die Administration und Informationsarbeit für das ganze Netzwerk kümmern. Teil des Netzwerks sind auch die «Freunde des Saatguts», Unter-stützer_innen, die meist in der Stadt wohnen und schliesslich Bauern und Bäuerinnen, die ihren Hof von konventioneller Landwirtschaft auf biologischen Anbau umstellen möchten. Das Netzwerk funktioniert zum allergrössten Teil durch ehrenamtliche Arbeit nach den Prinzipien Selbstverwaltung, Praxisorientierung, Komplementarität der indigenen und der naturwissenschaftlichen Sichtweise auf die Natur, des Teilens von Wissen und schliesslich der Nichtkonfrontation.
Das Saatgutzentrum Im Saatgutzentrum in Pasto laufen die Fäden des Netzwerks zusammen. Hier wird von vielen Pflanzenarten, welche die Guardianes vermehren, das Saatgut aufbewahrt und inventarisiert. In ehrenamtlicher Arbeit wird es gereinigt und auf Keimfähigkeit untersucht. Die Guardianes haben ihr eigenes Zertifizierungssystem, das auf gegenseitigem Vertrauen basiert und der Name des Netzwerks steht für die Qualität des Saatguts.
Vom Saatgut-Zentrum aus werden auch viele Koordinations- und Administrationsarbeiten für das Netzwerk erledigt. Hier werden die jährlichen Treffen vorbereitet und auch die Kampagne für die Erhaltung der Pflanzenvielfalt organisiert, mit der jedes Jahr eine alte Sorte gefördert wird.
Alte Sorten neu entdecken In Kolumbien hat sich durch die Liberalisierung des Agrarmarkts in den 1990er Jahren die ehemals sehr vielfältige Landwirtschaft grundlegend verändert. Heute besteht sie hauptsächlich aus Monokulturen wie z.B. Zuckerrohr, Kaffee und inzwischen auch Ölpalmen. Nach Schätzungen sind bis zu 80 Prozent der Kulturpflanzen seither verloren gegangen. Sogar Kaffee wird jetzt importiert, z.B. aus Vietnam oder Brasilien. In diesem Kontext versuchen die Guardianes mit ihrer Kampagne alte Sorten wieder bekannt zu machen. Letztes Jahr wurde die Kampagne der Jicama (Yambohne) gewidmet. Diese Pflanze wird in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern angebaut, in Kolumbien ist sie aber fast gänzlich vergessen, nur die Grosselterngeneration kennt sie noch. Das Netzwerk hat Jicama-Saatgut an die Guardianes verteilt und Informationen dazu gegeben, wie man das Gemüse anbaut und in der Küche verwenden kann. Die Guardianes haben es vermehrt und konnten nun viel Saatgut nach Pasto ins Saatgut-Zentrum zurückschicken. Von hieraus wird es weiterverbreitet. Für die Bauern und Bäuerinnen ist es auch in Kolumbien schwierig geworden, an Saatgut zu kommen, das nicht von den grossen Saatgutkonzernen verkauft wird. Alte Sorten wieder in ausreichender Menge anzubieten, ist für das Netzwerk eine grosse Herausforderung.
Das Saatgut-Zentrum organisiert auch Märkte für regionale landwirtschaftliche Produkte und bietet Raum für eine kleine Bibliothek, für Versammlungen und Workshops. Das Netzwerk versucht neue Guardianes beim Aufbau ihrer Arbeit auch finanziell zu unterstützen.
Lokale Verankerung Die lokalen Gruppen der Guardianes treffen sich heufig untereinander. In jeder Gruppe übernimmt eine Person die Koordination und die Verbindung zum Rest des Netzwerkes. Sie führt ein Inventar der Pflanzen, welche die Bauern und Bäuerinnen lokal anbauen und dokumentiert, welche Pflanzen viel angebaut werden, welche selten oder gar nicht mehr vorkommen. Letztere versucht das Netzwerk wieder zu vermehren. Manchmal werden die an einem Ort ausgestorbenen Pflanzen in einer anderen Region noch angebaut und die lokalen Gruppen können untereinander Saatgut austauschen.
Sprachrohr in der Stadt Ein wichtiger Teil des Netzwerks sind die «Freunde des Saatguts». Sie vermehren zwar selbst kein Saatgut, unterstützen die Arbeit der Bauern und Bäuerinnen aber, indem sie bei der Vorbereitung der jährlichen Treffen helfen, den Transport von Saatgut und Schreibarbeiten übernehmen, Abnehmer von Gemüsekörben und anderen landwirtschaftlichen Produkten sind und indem sie über die Anliegen des Netzwerks in ihrem urbanen Umfeld informieren. Dies ist seit dem Dekret aus dem Jahr 2010 sehr wichtig geworden.
So wurde der landesweite Agrarstreik im letzten Sommer auch stark von der Stadtbevölkerung mitgetragen. Gemeinsam haben sie erreicht, dass das repressive Dekret vorläufig nicht weiter umgesetzt wird.
Die Guardianes arbeiten auch mit anderen Netzwerken und Organisationen im In- und Ausland zusammen. Ein grosses Thema, mit dem alle Saatgutaktivisten konfrontiert sind, ist die Verunreinigung durch gentechnisch veränderte Pflanzen. In Lateinamerika sind vor allem die vielen einheimischen Maissorten durch gentechnische Verunreinigungen gefährdet. Die Guardianes setzen sich für die Anerkennung gentechnikfreier Regionen in Kolumbien ein.
Schutz durch Sichtbarkeit Die Arbeit des Netzwerkes ist durch das Dekret eigentlich illegal geworden, dennoch haben die Guardianes nicht aufgegeben. Sie sehen sich in der Verantwortung, die einheimische Pflanzenvielfalt zu erhalten, weil sie die Grundlage der Ernährungsouveränität der kolumbianischen Bevölkerung ist. Die Guardianes versuchen, breit über die Saatgutthematik zu informieren um dadurch Unterstützung zu gewinnen. Aus diesem Grund haben sie auch die Tournee durch Europa unternommen. Sie waren beim Europaparlament, in Universitäten, Saatguttauschbörsen, bei internationalen Organisationen in Genf und anderen Orten. Während der rund 20 Informationsabende haben sie viele Menschen kennengelernt.
Mit der Tournee hoffen die Guardianes, in der europäischen Öffentlichkeit Verständnis für ihre Situation zu schaffen und informierte Beobachter_innen und Unterstützer_innen zu gewinnen, die mithelfen, die kolumbianische Regierung zum Einlenken zu bewegen. In den Niederlanden hat sich bereits ein Unterstützungskomitee gebildet und in der Schweiz werden der kolumbianischen Botschaft im Mai über tausend Protestbriefe übergeben (siehe Kasten). In diesem Sinne rufen die Guardianes auch dazu auf, das Netzwerk durch Patenschaften zu unterstützen.3

  1. Kolumbien schloss 2011 mit Kanada, 2012 mit den USA und 2013 mit der EU Freihandelsabkommen ab.
  2. Darüber berichtete Archipel Nr. 222 im Januar 2014.
  3. Der Aufruf zur Patenschaft kann beim Europäischen BürgerInnenforum bezogen werden.