Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine verstärken sich Umweltprobleme, die schon vorher die Wälder und Naturschutzgebiete des Landes gefährdeten.
Wenn die Umweltbewegung in der Ukraine schon vor dem Krieg klein und kaum durchsetzungsfähig war, dann hat sich ihre Lage mit dem Krieg noch einmal deutlich verschlechtert. Viele Aktivist•inn•en sind in der humanitären Hilfe für Binnenflüchtlinge aktiv und es fehlen sowohl den kleinen etablierten Organisationen als auch lokalen Bündnissen, die sich um bestimmte Probleme gebildet haben, Ressourcen, um die gerade jetzt drängende Arbeit im Umweltbereich fortzusetzen.
Der Krieg wirkt als Verstärker bereits bestehender Probleme, erklärt uns Yehor, der in der «Ukrainian Nature Conservation Group» aktiv ist. Im März hat das Parlament, in dem sich ohnehin nur eine verschwindende Minderheit der Parlamentarier•innen für Umweltbelange interessiert, Naturschutzvorschriften gelockert. Eine Möglichkeit, vorher Einfluss auf den Gesetzesentwurf zu nehmen, hat es für zivilgesellschaftliche Organisationen nicht gegeben. So wurde beispielsweise das Verbot, in der Brutsaison Holz zu schlagen, aufgehoben und Umweltauflagen, die in den vergangenen Jahren durch die EU eingebracht wurden, wieder abgeschafft. Mit dem kürzlich ernannten neuen Umweltminister, der aus der Wirtschaft kommt und bereits gegen die Einrichtung von Umweltschutzzonen aktiv war, droht sich die Situation weiter zu verschlechtern.
Bereits 56 Prozent der ukrainischen Landfläche werden von vorwiegend Grossunternehmen für den Getreideanbau genutzt; die ursprünglich weiten Steppen der Ukraine machen nur noch 5 Prozent der Fläche aus. Und auch dieses ökologisch wichtige Grasland ist inzwischen in Gefahr, wenn die Anbaufläche vergrössert wird, um an Russland verloren gegangenes Territorium zu ersetzen. Der Prozess der Austrocknung, der Erosion und der Lösung der Böden wird sich fortsetzen, in der Folge verschlammen Flüsse und die Artenvielfalt in den betroffenen Regionen geht verloren.
Auch die wenigen existierenden Naturschutzgebiete der Ukraine sind in Gefahr, der Raubbau an ihnen bleibt ohne Konsequenzen. Finanziell waren sie immer schlecht ausgestattet, Kontrollen zu ihrem Schutz gibt es nicht. Yehor erzählt, wie der Kahlschlag auch «legal» funktioniert. Da die meisten Wälder dem Staat gehören, sind die Wege der illegalen Holzwirtschaft kurz: Oft würden einfach Gutachten gefälscht, die einen Wald für krank erklären, um dann scheinbar legal roden zu können und das Holz mit entsprechenden Papieren versehen in die EU verkaufen zu können. Der Kahlschlag hat verheerenden Einfluss auf die reiche Natur der Ukraine. Noch immer gibt es hier vergleichsweise grosse Urwälder, doch mindestens 200.000 Hektar Wald sind gar nicht als Wald anerkannt, berichtet Yehor. Nach dem Ende der Sowjetunion wurden viele landwirtschaftliche Flächen nicht weiter bearbeitet, die Natur hatte dreissig Jahre Zeit, sich zu erholen. So sind wichtige Naturgebiete entstanden, die aber auf dem Papier nicht als solche existieren, sondern nach wie vor den Status von landwirtschaftlicher Nutzfläche haben und abgeholzt werden können.
Natürlich haben auch die Kriegshandlungen selbst verheerenden Einfluss auf die Natur der Ukraine. Für Yehor liegt das grössere Problem aber darin, dass die Ökosysteme des Landes noch nie eine politische Priorität hatten, aber unter den Bedingungen des Krieges dafür überhaupt keine Lobby mehr existiert. Der Krieg verhindert jede Initiative. «Ne na chasi», «Es ist nicht der Moment», nennt Yehor das. Ein geflügeltes Wort, das in der Ukraine bei ungeliebten Themen vielfach Anwendung findet. Doch gleichzeitig sieht er auch Chancen. Dass der EU-Prozess an Fahrt aufgenommen hat, findet er gut. Denn für eine realistische Beitrittsperspektive müsste die Ukraine im Bereich Umweltschutz deutlich aktiver werden.
Moritz Krawinkel, medico International*
*Dieser Artikel wurde im newsletter von medico international nach einer Investigationsreise nach Transkarpatien im Mai dieses Jahres veröffentlicht. Das EBF hat im Verbund mit den europäischen Longo-maï-Kooperativen seit Ende Mai eine Zusammenarbeit auf längere Sicht mit medico international bezüglich diverser konkreter Projekte in Transkarpatien begonnen.