FRAUEN / UKRAINE: Das zynische Geschäft mit Leihmüttern

von Constanze Warta, EBF, 18.05.2022, Veröffentlicht in Archipel 314

Die Ukraine ist eines der wenigen Länder, in denen kommerzielle Leihmutterschaft erlaubt ist*. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind junge schwangere Frauen dazu verdammt, in umkämpften Gebieten auszuharren. Denn wenn sie das Land verliessen und das ihnen eingepflanzte Kind woanders auf die Welt käme, hätten die genetischen Eltern kein Recht mehr auf das Baby.

Wir wissen, dass Frauen im Krieg besonders leiden müssen. An ihnen wird jede Art von Gewalt exerziert, sie werden als handelbare Ware eingesetzt und müssen oft, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu retten, ihre Körper verkaufen.

In der Ukraine kommt für hunderte Frauen eine weitere tragische Folge des Krieges dazu. Es geht hier um die sogenannten Leihmütter. Das sind Frauen, die gegen Bezahlung ein Baby austragen, mit dem sie in keiner Weise verbunden, geschweige denn verwandt sind. Schätzungsweise 2000 Kinder werden in der Ukraine jährlich für ausländische Eltern zur Welt gebracht. Die Frauen müssen auf ukrainischem Boden gebären, sonst kann das Kind rechtlich nicht den genetischen ausländischen Eltern gehören. Wenn sie das Kind im Ausland bekommen, werden sie selbst zur Mutter. Davor warnte die grösste ukrainische Reproduktionsklinik BioTexCom nach Kriegsbeginn ihre Kund_inn_en im Ausland in einer Facebook-Botschaft: Eine Geburt ausserhalb der Ukraine habe rechtliche Konsequenzen, weil Leihmutterschaft in den meisten Ländern illegal ist. Die Leihmutter würde als Mutter gelten und der Versuch der Übergabe des Kindes als Kinderhandel. Die Auftragseltern könnten also nicht als Eltern des Kindes anerkannt werden.

Die grösste Fortpflanzungsklinik von BioTexCom befindet sich in Kiew. Das Unternehmen vermittelt Leihmütter an Paare und Einzelpersonen aus der ganzen Welt. Das Adoptionsverfahren nach der Geburt muss in der Ukraine erfolgen, was angesichts der mittlerweile geschlossenen Botschaften praktisch unmöglich geworden ist. Viele der Leihmütter leben auch in anderen Städten wie z.B. Charkiw. Jetzt sind diese Frauen dazu verdammt, im Kriegsgebiet zu bleiben. Viele der Frauen haben selber Kinder und mussten sich von ihnen trennen, da diese mit anderen Familienangehörigen ins Ausland geflüchtet sind. Kurz vor Kriegsbeginn hatte BioTexCom auf Youtube ein Video veröffentlicht, das an Zynismus kaum zu überbieten ist. Es sollte die Auftragseltern in Deutschland und anderswo beruhigen. In diesem Video ist ein Luftschutzbunker zu sehen, in dem Lebensmitteldosen, Babynahrung, Windeln, Gasmasken, Matratzen und Schlafsäcke gelagert sind. Laut BioTexCom können sich die Frauen sowie die Neugeborenen hier sehr wohl fühlen. «Sollte es zu Kriegshandlungen in Kiew kommen, können wir unseren Kunden garantieren, dass sie und ihre Kinder bei uns sicher sind.» Der Luftschutzbunker könne 200 Menschen einen komfortablen Aufenthalt gewähren.

Psychische und physische Folgen

Was sich jedoch in den Körpern und Seelen dieser jungen Frauen abspielt (die meisten sind zwischen 18 und 30 Jahre alt), das ist der bis dato florierenden Firma mehr als egal. Seit Beginn des Krieges sind die Verantwortlichen nur sehr schwer zu erreichen. Zukünftigen Eltern im Ausland, die sich um «ihre Leihmutter» sorgten, wurde telefonisch mitgeteilt, dass sie davon ablassen sollten, in Kontakt mit derselben zu treten.

Inzwischen wurde Kiew einen Monat lang beschossen. Der Krieg hat die Abscheulichkeit eines Geschäfts entblösst, mit dem Reproduktionsfirmen auf dem Rücken von bedürftigen Frauen Gewinn machen. «Wer sich in den zerbombten Häusern und Spitälern um die medizinische Versorgung dieser jungen Frauen kümmert, fragt niemand», beklagt die Geschäftsführerin des Wiener Bioethikinstituts IMABE, Susanne Kummer. De facto haben die Frauen keinen Anspruch auf Bezahlung oder Entschädigung. Diese erfolgt durch die Agenturen erst, wenn ein gesundes Baby abgeliefert wird, wie es der Vertrag vorsieht.

Im Überblick: In den USA erhalten die Vermittlungsagenturen (Reinertrag) bis zu 60.000 Dollar pro Baby. In der Ukraine sind es «nur» 30.000. Am billigsten ist es, sich in Indien ein Baby austragen zu lassen. Die Leihmütter selber erhalten jeweils nur ca. ein Drittel dieser Summen, das von den Auftragseltern zusätzlich gezahlt wird. Und das auch nur, wenn alles «klappt». Was mit den Frauen passiert, wenn sie ein krankes oder behindertes Kind auf die Welt bringen, oder eine Fehlgeburt haben, welchen psychischen und physischen Belastungen sie ausgesetzt sind, das interessierte bisher kaum jemanden. Carolin Schurr, Leiterin der Abteilung Sozial- und Kulturgeographie an der Universität Bern, prangert den Missbrauch und die Ungleichbehandlung der Leihmütter an: «Die Leihmütter in der Ukraine erhalten in der Regel nur einen Bruchteil des Geldes, welches westliche oder chinesische Kunden bezahlen. Sobald sie das Kind geboren haben, interessiert sich niemand mehr für sie.» Gewiss ist, dass der Stress, der durch solche Kriegssituationen hervorgerufen wird, zu Fehlgeburten führen kann. Ausserdem sind generell Folgeschäden einer Leihmutterschaft keine Seltenheit. Carolin Schnurr: «Das reicht von körperlichen Problemen wie eigener Unfruchtbarkeit bis hin zu Traumata, weil das Neugeborene den Leihmüttern kurz nach der Geburt weggenommen wird.»

Die österreichische Plattform «Stoppt Leihmutterschaft» fordert ein weltweites Verbot: «Leihmutterschaft bedeutet Kinderhandel und in den meisten Fällen Ausbeutung von Frauen in prekären Lebenssituationen und widerspricht somit der UN-Menschenrechts- sowie der Kinderrechtskonvention.» Die schwerwiegenden Folgen für die von diesem unmenschlichen und brutalen Geschäft betroffenen Frauen und Kinder und letztendlich möglicherweise auch für die Auftragseltern sind schwer abzuschätzen. Jedenfalls gehören solche Firmen, Abszesse eines ultraliberalen Kapitalismus, meiner Ansicht nach kategorisch verboten.

Constanze Warta, EBF

*die weiteren Länder: USA, Russland, Georgien; Indien und Südafrika

Quellen: «Leihmütter gefangen im Krieg» (14/04/2022), online-Zeitschrift FrauenSicht, Artikel von Barbara Marti (Redaktorin und Herausgeberin), The Guardian-online 10/04/2022, 20 Minuten, 4/03/2022, Zeit-online (04/2014)